von Dorothy Baker

Ursprünglich erschienen 1965 im Krüger Verlag, (US Original 1962) ; meine Ausgabe ist eine neue Lizenzedition der Büchergilde Gutenberg

Die Autorin kannte ich bislang nicht, auf das Buch bin ich gestossen, als ich den Katalog der Büchergilde durchstöbert habe, und bei der Büchergilde macht man häufig Entdeckungen, auf die man sonst nie gekommen wäre. Und das hier ist wirklich ein Roman, bei dem ich froh bin, dass er mir nicht entgangen ist 😉!

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Im Original heisst er „Cassandra at the Wedding“, und der erste deutsche Titel war auch „Cassandra auf der Hochzeit“. Hätte man so lassen können, denn genau darum geht es: Cassandra und Judith , 24 Jahre jung, sind eineiige Zwillinge, sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Äusserlich zumindest. Nun steht Judiths Hochzeit an, und sie will im kleinen Kreise auf der Ranch der Familie heiraten. Grund für Cassie, aus Berkeley anzureisen, schliesslich soll sie die Brautjungfer sein. Friede, Freude, Eierkuchen? Definitiv nein – Cassie hat nichts anderes im Sinn, als diese Hochzeit zu verhindern, auch wenn ihr das selbst erst noch klar werden wird. Und Judith liebt ihre Schwester, kennt sie aber auch, und hat so ihre Vorahnungen….die Katastrophe kann ihren Lauf nehmen….

Abwechselnd aus der Sicht von Cassie und Judith geschrieben, ist dieser Roman ein brilliantes Stück an psychologischer Sezierung, Charakterstudien, Familienstudie, grossartig geschrieben, glasklarer Stil und packende Dialoge – Innere wie Äussere. ich war echt gefesselt. Wir begleiten die zwei Schwestern eigentlich nur 2,3  Tage: Cassies Anreise am Vorabend der Hochzeit, der Hochzeitstag, das Nachspiel. Und bekommen ein, nein zwei ganze Leben präsentiert. Und eigentlich ist die Geschichte relativ unscheinbar und unspektakulär, aber faszinierend wird es durch die Einblicke in Cassies Persönlichkeitsstruktur und die bizarren Mechanismen und Einflüsse, die Erziehung und Familie auf einen haben.

Natürlich ist für „Normalos“ wie mich das Zwillingsthema auch ewig interessant. Wie ist es wohl, mit jemand aufzuwachsen, der einem optisch komplett gleicht? Und mit dem einen 9 Monate im Mutterleib verbinden? Für Cassie ist Judith ihre andere Hälfte, die, ohne die sie nicht komplett ist. Die, die sie braucht. Ohne wenn und aber. 9 Monate Berkeley ohne Judith waren schlimm für sie. Vor allem, da sie, wie wir im Laufe des Romans erfahren, generell manisch-depressive Phasen durchläuft, wie wir es heute benennen würden. Judith hingegen bemüht sich, die Abhängigkeiten der Schwestern voneinander zu beenden – sie hat sich verliebt, sie will mit ihrem Mann ein neues Leben anfangen, für sie ist Cassandra nicht mehr die Hauptperson, sie will die Ketten des Zwillingsdaseins sprengen. Und ja, Sprengkraft hat das Ganze – soviel kann man verraten!

270 Seiten Sprengkraft, und ein interessantes Nachwort von Peter Cameron, das ich schon als eigenständige Rezension sehe.

Das war mal wieder ein Lesevergnügen. Intelligente Lektüre, permanent hoher Spannungslevel, und spritzige Dialoge. Dorothy Baker ist schon 1968 verstorben, ich werde mal schauen, was sie sonst so veröffentlicht hat. Das Buch war keine Minute altbacken, abgesehen davon, dass hier keine moderne Technologien vorkommen, könnte das ganze durchaus auch im Heute angesiedelt sein. Heisst natürlich im Umkehrschluss, dass das menschliche Innenleben sich anscheinend nie verändert. Wir sind, was wir sind 😉. Das macht diesen Roman so zeitlos.

Lesetipp, alle Daumen hoch!

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