von Isabel Allende

erstmals erschienen in DE 1982, und nun als Jubiläumsausgabe im Juli 2022 erschienen im Suhrkamp Verlag

Link zum Buch

Beworben wird die Sonderausgabe mit folgenden Worten: „Vor 40 Jahren, Oktober 1982, erschien Isabel Allendes fulminanter Debütroman La casa de los espíritusDas Geisterhaus ‒ eine Familiensaga, die zum Welterfolg und in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurde: Isabel Allende erzählt die wechselhafte Geschichte der Familie des chilenischen Patriarchen Esteban Trueba und seiner hellsichtigen Frau Clara und führt uns mit ihrer atemberaubenden Fabulierkunst durch eine Zeit, in der persönliche Schicksale und politische Gewalt eng miteinander verwoben sind. Der Erfolg dieses Epos verdankt sich dem hinreißenden Erzähltemperament Isabel Allendes: Mit Phantasie, Witz und mit Zärtlichkeit malt die Autorin das bunte Tableau einer Familie über vier Generationen hinweg.“

Ja, und auch ich habe Mitte, Ende der 80er „Das Geisterhaus“ gelesen, verschlungen und gefeiert. Genauso wie die nachfolgenden epischen Romane von Allende, und seitdem geistert mir Chile auch als Land im Kopf herum, das es unbedingt einmal zu bereisen gilt.

Und nun das Buch-Jubiläum. Die neue gebundene Ausgabe ist optisch echt schön, also habe ich sie mir zu Weihnachten schenken lassen, und ich hatte echt hohe Erwartungen an ein Lesevergnügen. Re-read sozusagen eines Kultromans, dessen Verfilmung ich übrigens ebenfalls als klasse in Erinnerung habe.

Und nun schicke ich mal gleich voraus: auch im erneuten Lesedurchgang etwas mehr als 30 Jahre später hat mir das Geisterhaus gut gefallen, Allende ist einfach eine tolle Geschichten-Erzählerin, aber tatsächlich bin ich nicht aus dem Häuschen vor Begeisterung. Allendes Erzählstil wird als „magischer Realismus“ bezeichnet, und Wikipedia definiert das wie folgt: „Der Magische Realismus verwischt die Grenzen zwischen Realität und Phantasie: Volkskultur, Mythologie, Religion, Geschichte und Geographie verschmelzen zu einer auf der Handlungsebene als natürlich empfundenen Wirklichkeit. Der Grundgedanke ist, dass Phantastik und Realismus gut nebeneinander existieren können und nicht zwangsweise im Konflikt stehen.“ Im Geisterhaus verwischt diese Grenze zwischen Realität und Phantastik ganz klar durch Claras Übersinnlichkeit, und ganz ehrlich, mich hat das beim erneuten Lesen etwas genervt – irgendwie war das für mich nix Halbes und nix Ganzes. Der Göttergatte toleriert und ignoriert die Geisteraffinität und spiritistischen Sessions seiner Frau gekonnt, und die lebt ganz glücklich in ihrer eigenen Welt. Puh, als junges Mädchen fand ich diese Vorstellung anscheinend ganz ok, mittlerweile denke ich mir, das ist ein merkwürdiges Familienleben. Überhaupt die Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder untereinander und die ehelichen Beziehungen der diversen Paare, ach ich weiß nicht, sprach mich nicht mehr so wirklich an. Esteban, der alte Patriarch, der in seiner frühen Erwachsenenzeit vergewaltigend durch die Gegend zog – naja, brauch ich echt nicht. Das waren lange Leseabschnitte, wo ich den Kopf geschüttelt habe. Mir fehlte jegliches Verständnis für diese Figur, und ich fand es echt krass, wie salopp und non-chalant Allende dieses sexuelle Wüten beschrieben hat. Der Landbesitzer schnappt sich einfach mal die kleinen Domestikinnen.  Allendes hohe Kunst war / ist es wohl, dass sie Esteban und sein Treiben komplett wertungsfrei beschrieben hat. So war es halt damals, und das ist wohl auch nicht realitätsfern, aber mit meiner heutigen „Brille“ und Sichtweise macht mir persönlich das keinen Spaß zu lesen. Das hatte ich so auch nicht mehr in Erinnerung.

Ich glaube, würde ich das Buch heute zum ersten Mal in die Hände bekommen, würde ich es wohl nicht zu Ende lesen wollen. Ich habe es natürlich zu Ende gelesen, und über ganz lange Strecken war ich auch wieder gefesselt und mitgerissen dabei, aber zum Ende hin hat mich der Erzählfluss auch wieder etwas verloren. Zum Ende hin ist Alba die weibliche Hauptfigur, Estebans Enkelin, und mit der konnte ich auch nicht mehr viel anfangen. Puh. In der Verfilmung wird Alba von Winona Ryder gespielt, und die fand ich ja anno damals extrem cool. Kann ich mir heute gar nicht mehr vorstellen, hahaha, Die kleine naive Alba. Da muss Ryder wohl ihr ganzes schauspielerisches Talent reingelegt haben – soviel gibt das literarische Vorbild an Charakter nämlich nicht her.

Ja, hört sich ein bisschen an wie ein Verriss, was ich bislang zu dem Roman zu sagen habe, das habe ich aber nicht so geplant, hahaha. Ich habe nur für mich festgestellt, dass ein Buch, was ich als junge Frau toll und hinreißend fand, mich Jahrzehnte später nicht mehr sonderlich flasht. Es ist definitiv gut geschrieben, Allende kann das 😉, ganz fraglos, es ist emotional, es ist episch angelegt, es verknüpft die chilenische Geschichte mit der der Familie Trueba, das ist richtig gut gemacht, aber ich kann mich mit den Protagonistinnen nicht mehr identifizieren, und mir ist zu viel Macho-Tum dabei, das ich so einfach nicht mehr lesen mag.

Was ich mich beim Lesen echt öfters gefragt habe: Würde Allende mit dem Geisterhaus als Debut auch heute noch weltweit diesen Erfolg haben? Sicher, auch ihr Schreiben hat sich entwickelt (ich habe durchaus ihre letzten Werke gelesen – ha, ich habe sie fast alle gelesen 😉. Und ihr „Pandemiebuch“ – Violeta – liegt aktuell für mich auf meinem ebook Reader bereit), aber würden die Leser heutzutage noch genauso auf das Geisterhaus von 1982 abfahren? Ich weiß es nicht. Damals war – für mich jedenfalls – gerade auch der magische Realismus das intellektuelle Novum, und der epische Erzählstil generell hatte es mir angetan. Heute wäre das keine Novität mehr, und ahhhrg, dieser Macho-Kram – ich denke echt, das wäre in einem Debut heutzutage kein Erfolgsgarant mehr, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Ja, so kann es gehen mit einem Re-read. Man lernt sich selbst dabei kennen 😉.

Trotz alledem, wer das Geisterhaus noch nicht kennt, sollte es mal lesen. Es ist mittlerweile Kult und gehört schon fast zur Allgemeinbildung. Also: viel Vergnügen damit!

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