von Caren Benedikt
als Hörbuch gelesen von Anne Moll, 2020 im Randomhouse Audioverlag erschienen
Rügen, 1924: Bernadette von Plesow ist fast 50 und hat es geschafft. Aus einfachen Verhältnissen stammend, hat sie vermögend geheiratet und gemeinsam mit ihrem Mann das Grand, das erste Hotel am Platz, erbaut und hier ihre Kinder grossgezogen. Nun ist Bernadette seit einigen Jahren verwitwet und führt das Grand mit umsichtiger, aber eiserner Hand. Ihr Sohn Alexander fungiert zwar als Geschäftsführer, doch die Zügel hat Bernadette in der Hand. Ihr ältester Sohn Konstantin besitzt ein eigens Hotel, das Astor in Berlin, mit einem verruchtem Variete sowie Kontakten in die Unterwelt, und Josephine, die jüngste, ist das rebellische Nesthäkchen mit Künstlerambitionen. Und dann gibt es auch noch das Zimmermädchen Marie, das mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen hat und ihren Weg sucht…
Im Grand Hotel (das es übrigens auch tatsächlich gibt und das wohl aufwendig restauriert wurde und in echt ähnlich strahlt wie auf dem Buchcover) verbinden und finden sich viele Schicksale, und die Autorin lässt uns teilhaben an denen, die um Bernadette herum agieren. Das heisst, es gibt hier diverse Erzählstränge, die sich immer wieder in Binz im Grand kreuzen und immer wieder bei Bernadette zusammenlaufen. Und das klappt zwar einerseits ganz gut – das Zusammenlaufen der Fäden meine ich – aber es sind manchmal einfach etwas zu viele einzelne Stories, die dann für meinen Geschmack nicht wirklich in die Tiefe gehen. Josie, die angehende Künstlerin auf der Suche nach sich selbst zum Beispiel gäbe soviel her: sie zerstreitet sich mit der Mutter in Binz, flüchtet zum Bruder ins Berlin der 20er Jahre, findet dort Kontakte sowohl zur Künstlerszene als auch zu Hausbesetzern und politischen Aktivisten, und kommt dann – nach einigen augenöffnenden Erlebnissen – wieder geläutert nach Hause; da hätte man soviel draus machen können, aber irgendwie wurde Josies Entwicklungsgeschichte im Eiltempo abgewickelt. Oder Marie, die vom kleinen Zimmermädchen in Binz zur Hausdame in Berlin einen Entwicklungsschritt im Nullkommanix machte – auch da wäre soviel mehr drin gewesen. Meiner Meinung nach zumindest. Das waren tolle Mädchen / Frauen, aber irgendwie nur Randfiguren. Ich hatte den Eindruck, die Figuren waren ziemlich eindimensional. Konstantin war der böse Gangster im Al Capone-Stil, Alexander der kleine Bruder, der sich aber aus den Fittichen der Mutter nicht befreien kann, warum auch immer, und die einzige, die ein wenig facettenreicher weg kam, war Bernadette. Das fand ich ein bisschen schade, denn die Grundidee gefällt mir ausnehmend gut. Ich liebe Geschichten, die in den 20ern spielen, gerade auch in Berlin – welch aufregender Ort zu dieser Zeit! Und auch Rügen: ein faszinierender wunderschöner Ort als Hintergrund für eine Familiensaga. Aber wie gesagt, es fehlte mir etwas der Tiefgang. Ich hatte auch ein wenig Probleme dadurch, in die Geschichte reinzukommen.
Der Klappentext sagt, oder vielmehr verspricht, dass es überdies um ein Geheimnis gehe, das alles in Gefahr bringt. Achtung Spoiler: Um zu diesem Geheimnis vorzudringen, muss man schon fast bis zum Ende die letzten Kapitel abwarten. Und so spektakulär ist es dann auch nicht. Warum ich das erwähne? Weil ich es immer blöd finde, wenn Klappentexte Erwartungen wecken, die nicht erfüllt werden. Es gibt in diesem Roman wie gesagt ganz viele Geschichten, grosse und kleine Verbrechen, aber eigentlich nicht DAS Geheimnis, um das sich alles dreht und bei dem man die ganze Zeit mitfiebert.
Der Erzählstil ist ansonsten recht lebendig, es gibt sehr viele Dialoge, die gerade im Hörbuch auch wunderbar von Anne Moll vorgetragen wurden.
Insgesamt war ich mit dem Hörbuch recht gut unterhalten, aber ich bin auch froh, es nicht im Print gelesen zu haben, weil mich die o.g. Mängel dann mehr geärgert hätten. Frau Moll hat jeder Figur ihre eigene Stimme gegeben und sie kann als Schauspielerin einfach gut erzählen.
Was soll ich sagen, es war nett, wird aber keinen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen, und einen weiteren Band werde ich nicht unbedingt brauchen. Ich verteile 3 von 5 Sternen.