Der Inspektor und der Totengräber auf der Jagd nach dem Mumien-Mörder (Die Totengräber-Serie, Band 2)
von Oliver Pötzsch
erschienen 2022 bei Ullstein
Wir sind in Wien 1894: Inspektor Leopold von Herzfeldt hat einen aussergewöhnlichen Fall zu bearbeiten. Ein Professor für Ägyptologie wurde im Kunsthistorischem Museum gefunden – und zwar fachgerecht mumifiziert. Seine Familie wähnt in dabei in Ägypten, und es scheint sich um einen Fluch zu handeln, denn einige Jahre zuvor erst hat besagter Professor auf bizarre Weise eine altägyptische Mumie gefunden, und fast alle Mitglieder dieser Expedition sind in letzter Zeit gestorben. Und tatsächlich wird Leopold Zeuge einer geisterhaften Erscheinung…..
Aber das ist nicht alles, die Wiener Polizei wird außerdem von einer Reihe kultisch anmutender Morde an jungen Männern heimgesucht. Hier deutet alles auf Morde in der Stricher- und Prostituierten-Szene hin, doch nach einiger Zeit wird Leopold klar, dass sein „Mumien-Mord“ mit den anderen verbrechen in Verbindung steht….und die Ermittlungen ziehen immer größere Kreise, bei denen er teilweise riskante Solo-Touren startet und sich selbst in allergrösste Gefahr begibt.
Das wäre jetzt in höchstmöglicher Kürze die Zusammenfassung der knapp 1000 (!) ebook-Seiten dieses historischen Krimis, und das wird diesem tollen Roman natürlich nicht wirklich gerecht. Aber das wären zumindest die beiden Haupterzählstränge, die beiden Fälle, die genial verknüpft zu einer Lösung kommen.
An den Ermittlungen beteiligt ist natürlich auch wieder Augustin Rothmeyer, seines Zeichens Totengräber auf dem Wiener Zentralfriedhof, und Teilzeit-Gelehrter. Sein neues Buch befasst sich mit weltweiten Totenkulten, und wer wäre da für Leopold ein besserer Ratgeber als er? Leider sieht Leo das erneut anders, er sieht sich auch in diesem Band unfreiwillig mit Augustin geschlagen, muss aber sich eingestehen, dass dessen Hilfe unschlagbar sein kann – also man merkt, dieses Duo ist ein eher unfreiwilliges Duo. Was ihrer Erfolgsquote keinen Abbruch tut 😉.
Ach, und jetzt habe ich Julia noch gar nicht erwähnt: aus der ehemaligen Telefonistin der Polizeistation ist mittlerweile eine Tatortfotografin geworden, die ihren Job extrem gut macht, auch wenn ihr die Motive teils arg nahe gehen, und die männlichen Polizisten ihr oftmals weniger mit Hilfe als vielmehr mit Chauvinismus begegnen. Natürlich ist auch Julia in die Fälle, respektive ihrer Aufklärung involviert: selbstredend mehr oder weniger undercover, denn weibliche Ermittler hat die Wiener Polizei 1894 noch lange nicht zu bieten, aber Leo mag auf ihren scharfen Verstand nicht gerne verzichten, und auch Augustin vertraut in mehr als einer Hinsicht auf Julias Fähigkeiten.
Der Roman lebt von seinen brillant-authentisch dargestellten Protagonisten und der Atmosphäre des historischen Wiens. Dies ist eine Zeit voller Umbrüche: einerseits noch der Belle Époque verhaftet mit seinen Droschken und Cafés und Vergnügungen, andererseits kommt langsam die Modernität auf; Telefone werden überall in Wien verlegt (und beginnen die Leute zu stressen 😉), die polizeiliche Ermittlungsarbeit wird mit Fotographie und Fingerabdruckvergleich auf ein völlig neues Level gehoben, und die Welt beginnt sich immer schneller zu drehen. Leopold, den man extra nach Wien geholt hat, damit er diese neuen Ansätze in der Ermittlungsarbeit vorantreibt, hat hier viel mit Vorurteilen zu kämpfen.
Man merkt, ich bin Fan der Reihe 😉, ich fand auch schon den ersten Band klasse. Den habe ich übrigens als Hörbuch gehört, und musste feststellen, dass der Sprecher so klasse gelesen hat, dass sich allein aufgrund seines Vorlesens und Vortragens in meinem Kopf Bilder verfestigt haben: ich habe den alten Totengräber so kauzig-skurril in Erinnerung, so polternd und „wiener-schmähend“, ich hatte auch beim Lesen gleich wieder Kopfkino.
Also, ich komme zu einem Ende: das war wieder echt gut. Spannender Schmöker, spannend konstruierter Fall, richtig gut und mitreißend erzählt. Oliver Pötzsch ist ein begnadeter Erzähler. Stelle ich immer wieder fest. Einer der wenigen Autoren, bei denen man blind zugreifen kann, wenn sie wieder ein neues Buch rausgebracht haben. Ich war bestens unterhalten, und habe nebenbei wieder was dazugelernt in Punkto Geschichte; und zwar nicht nur über die Zeit in Wien um die vorletzte Jahrhundertwende herum, sondern auch noch einiges um und über die Zeit der Pharaonen und deren Totenkulte.
Alle Daumen hoch!
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Und hier noch ein spannendes Interview des Autors zu seiner Wien-Krimi-Reihe, gefunden bei Amazon.de:
Interview mit dem Autor Oliver Pötzsch
Beim neuen Fall für Leopold von Herzfeldt kommen ganz neue spannende, historische Themen auf: altägyptische Flüche, Mumifizierungs-techniken, etc. Ich war schon als Kind fasziniert von allem, was mit Mumien zusammenhängt. Es war für mich allerdings erstaunlich zu sehen, wieviel Bizarres dann tatsächlich stimmt. So gab es im 19. Jahrhundert sogenannte Mumienpartys, bei denen britische Dandys ägyptische Mumien auswickelten, auf der Suche nach Schmuckstücken – ein wenig wie große Überraschungseier. Ein englischer Lord hat sich sogar selbst nach seinem Tod mumifizieren lassen. Und zerriebene Mumie war bis ins 20. Jahrhundert ein Allheilmittel, das es in vielen deutschen Apotheken gab! Geschichte schreibt eben die besten Geschichten … Da brauche ich gar nichts erfinden. | Neu im Ermittlungsteam ist die Tatortfotografin Julia Wolf – ist das im Jahre 1894 nicht sehr ungewöhnlich? Ungewöhnlich war vor allem die Tatortfotografie. Ende des 19. Jahrhunderts gab es diesen Beruf ja noch nicht. Man beauftragte Fotostudios, oder empfahl Inspektoren, ihren eigenen Fotoapparat mitzubringen. Dass eine Frau als Tatortfotografin arbeitet, fand ich reizvoll. Warum sollte Technik damals eine reine Männerdomäne gewesen sein? Vergessen wir nicht: Es war Bertha Benz, die die erste längere Autofahrt der Welt unternahm. Die verstopfte Benzinleitung reinigte sie mit einer Hutnadel, die Zündung reparierte sie mit ihrem Strumpfband. Frauen sind eben erfinderisch! | Eine entscheidende Rolle bei der Ermittlung spielt der Totengräber Augustin Rothmayer … Mit dieser Figur fing die Idee für die Serie an. Ein Totengräber vom berühmten Wiener Zentralfriedhof … Gibt es einen besseren Experten des Todes? Augustin Rothmayer ist sehr belesen, im zweiten Band schreibt er ja an seinem „Almanach der Totenkulte“. Sein Wissen hilft dem Inspektor an den entscheidenden Stellen weiter. Rothmayer ist ein typischer grantelnder Wiener, mit einem weichen Herz. Das Waisenmädchen Anna, das dem Roman auch den Titel gegeben hat, ist sein ein und alles – auch weil ihn das Mädchen an seine eigene verstorbene Tochter erinnert. | Werden wir bald noch mehr von Wiens ungewöhnlichem Ermittler-Duo lesen können? O sicher, ich habe noch so viele Ideen! In jedem Band gehe ich ja einem unheimlichen Phänomen nach. Bislang waren das Vampire und jetzt eben Mumien. Ich denke, dass Geistererscheinungen im nächsten Roman eine Rolle spielen werden. Mit dem Aufkommen von Elektrizität und der Fotografie Ende des 19. Jahrhunderts hatten Betrüger da leichtes Spiel. Kennen Sie die sogenannten Geisterfotografien? Die sehen wirklich unheimlich aus, der Schriftsteller Arthur Conan Doyle war ganz besessen von ihnen. Und vielleicht auch meine Tatortfotografin Julia Wolf … |