von Marianne Philipps
Neu erschienen 2021 im Diogenesverlag
„Neu erschienen“ deshalb, weil dieser Roman schon einmal veröffentlicht wurde, und zwar in den 1930er Jahren, und auch damals bereits recht erfolgreich. Lange Zeit in der Versenkung verschwunden, wurde er jetzt aus dem Niederländischem neu übersetzt und samt seiner Autorin wieder entdeckt. Marianne Philipps, 1886 in Amsterdam geboren, war sozialdemokratische Politikerin, Autorin und Mutter von 3 Kindern, und, das füge ich jetzt hinzu, als freiheitsliebende Denkerin ihrer Zeit voraus.
Aber zurück zur „Beichte“: Wir sind in einer Nervenklinik, und Heleen, seit über einem Jahr Patientin, vertraut sich der Nachtschwester an, und in einem Monolog erzählt sie ihr Leben. Es ist nicht nur eine Nacht, sondern mehrere, und da die Schwester nicht antwortet, ist es tatsächlich ein kompletter in der Ich-Form geschriebener Monolog, der über etwas mehr als 260 Seiten in den Bann zieht. Beginnend von ihrer Kindheit in ärmlichen Verhältnissen in einer kinderreichen Familie begleiten wir Heleen auf ihrem Weg dort heraus in die bessere Gesellschaft. Heleen ist tough, würden wir heute sagen, sie hat einen Sinn für Kunst und Ästhetik, und nutzt die erstbeste Gelegenheit, um eine Lehrstelle in der Stadt zu bekommen, und schafft es tatsächlich, leitende Angestellte in einem exklusiven Kaufhaus zu werden und sich „gut zu verheiraten“. Die Ehe ist nicht von langer Dauer, da Heleen ihre Freiheit wichtiger ist. Und dann ist dann auch noch Hannes, die Liebe ihres Lebens…..und ihre jüngere Schwester Lietje, die Heleen ins Verderben stürzen soll…oder ist es nicht vielmehr umgekehrt und Heleen bedeuted Verderben?
Die Beichte ist eindrucksvoll und hat mich mitgenommen. Sprachlich hab ich eine Weile gebraucht, um reinzukommen, denn es handelt sich hier nicht nur um eine Lebensgeschichte, die erzählt wird, sondern Heleen spricht hin und wieder (und am Anfang echt sehr oft) die Nachtschwester direkt an, so nach dem Motto, Schwester, wieso antworten sie nicht, oder Schwester, das ist echt anstrengend hier mit diesen Mitpatientinnen, und das hat mich in meinem Lesefluss etwas gestört. Andererseits hat das auch gerade ganz bewusst Nähe hergestellt – Nähe zur damaligen Klinik. Oder sollte man besser sagen, Aufbewahrungsanstalt für Frauen, die an den gesellschaftlichen Verhältnissen zugrunde gehen und im wahrsten Sinne des Wortes ihre Nerven verlieren und weggepackt werden mussten? Das hat mich schon betroffen. Allzuviel Rechte hatte man als Frau damals nicht, und einmal in einer Nervenklinik angekommen, führte oft weder die nächsten Jahre oder gar nie mehr ein Weg hinaus. Vor allem, wenn der Gatte das nicht wollte….
„Ein Roman über weibliche Identität, Moral, Wahnsinn und die Suche nach lebbarem Glück“ kündigt der Klappentext an. Und dem gebe ich recht. Heleen ist gefangen in ihrer Sehnsucht nach einem besserem Leben, einem freiem , schönerem, reicherem Leben, sie hat Willen und Energie, und ist doch oft gefangen in ihren Depressionen und kommt aus ihrer Haut nie so heraus, wie sie möchte. Sie ist intelligent genug, um sich reflektieren, sich und ihre Umwelt teils auch messerscharf zu sezieren, und doch kommt sie nie an und steht sich oft selbst im Wege. Und sieht das. Und kann doch nicht anders. Das tut mir beim Lesen weh, das ist knackig. Dieser Roman ist spannend, aber nicht wohlgefällig. Für die Autorin sei das Schreiben eine Art Eigentherapie für ihre eigenen psychischen Probleme gewesen, habe ich gelesen, und das kann ich mir gut vorstellen, Ich hab mich beim Lesen gefragt, ob hier autobiographisches Erleben verarbeitet wurde, und das war es wohl auch.
Ich fand es faszinierend. Teils anstrengend, aber der Spannungsbogen war permanent oben, und das war mal was ganz anderes. Man muss sich drauf einlassen, aber es lohnt sich. Definitiv!
Ich bedanke mich beim Diogenesverlag für die Zusendung des Rezensionsexemplares!