von Minette Walters

Teile 1 und 2 der Pest-Saga

„Die letzte Stunde“ erschien 2017 im Heyne Verlag, und ruhte jetzt schon eine Weile auf meinem „SuB“, dem Stapel ungelesener Bücher. Nachdem ich diesen historischen Roman aber innerhalb kürzester Zeit fast inhaliert habe, musste natürlich gleich Teil 2 her. „In der Mitte der Nacht“ – so der deutsche Titel – ist allerdings noch recht neu, ergo noch nicht als günstiges Taschenbuch erhältlich, also habe ich zur englischen Originalausgabe gegriffen. „The Turn of Midnight“ wurde 2018 bei Allen & Unwin veröffentlicht.

Hierum geht’s: Wir schreiben das Jahr 1348. Der Schauplatz: Die Liegenschaft Develish in Dorseteshire. Die Pest ist ausgebrochen. Innerhalb kürzester Zeit werden ganze Landstriche entvölkert und vom schwarzen Tod dahingerafft. In Develish regiert Lady Anne mit Weisheit und Voraussicht: als die Pest sich nähert, lässt sie alle gesunden Leibeigenen zum Herrenhaus kommen und verbrennt die Zugbrücke, das Tor zur Aussenwelt. Auch ihren Ehemann, den trunksüchtigen Sir Richard, lässt sie nach seiner Rückkehr einer Reise vor dem Burggraben stehen. Auf diese Art isoliert kann die Pest die Einwohner Develishs nicht erreichen. Ringsherum wütet das Chaos, aber Develish scheint die Oase des Lebens zu sein. Doch innerhalb der Mauern ist nicht alles Sonnenschein: Während die Leibeigenen Lady Anne vergöttern, ist deren 14jährige Tochter Eleanor vor Hass verblendet, denn ihre Mutter hat ihre eigenen Vorstellungen von Gottes Ordnung und behandelt alle Menschen gleich. In Develish wird auf Bildung gesetzt, und Lady Anne setzt den unfreien Bastard Thaddeus, den klügsten Kopf des Anwesens, sogar als Steward ein. Das bleibt nicht ohne Folgen.

Ränke, Intrigen, Emotionen kochen über, bis ein Mord geschieht, und Thaddeus überstürzt mit 5 jungen Männern ins Ungewisse aufbrechen muss….

Der erste Teil dieser historischen Saga ist in sich abgeschlossen, aber die letzten Worte lauteten : „Fortsetzung folgt“, also musste ich natürlich wissen, wie es weitergeht. Der zweite Teil schliesst nahtlos an. Thaddeus und seine 5 Gefährten sind eine Art Kundschaftertruppe Develishs geworden, und das Bild, dass sich ihnen im Süden Englands bietet, ist gruselig. Allerdings bietet eine Seuche, die 9 / 10tel der Bevölkerung ausrottet, für die Überlebenden auch ungeahnte Chancen, denn wenn zu wenig Leute da sind, um das Land zu bearbeiten, dann sind Arbeitskräfte gefragt. Das ist die Grundidee, die Lady Anne und ihre Gefolgschaft antreibt: wenn die komplette alte Gesellschaftsordnung nicht mehr existiert, ruft die Freiheit für die Mutigen und Starken, die überlebt haben. Und so wird Develish zum Hort einer neuen Lebensordnung – und zu einem Wertesystem, das der bisherigen mittelalterlichen Auffassung der gottgegebenen Verhältnisse komplett widerspricht.

Minette Walters war mir bislang eher als Autorin von Thrillern und Krimis bekannt, aber auch das historische Genre liegt ihr bestens. Der Still ist flüssig, die Figuren detailliert und nahbar, und das Setting gut recherchiert. Die Autorin lebt in Dorset, wir begleiten sie also hier durch ihre Heimat anno 1348.  Während ich durch das deutsche Buch nur so geflogen bin, habe ich aber festgestellt, dass es im englischen etwas langsamer ging. Das typische mittelalterliche Vokabular hat mir etwas gefehlt, seit Jahren musste ich beim Lesen mal wieder ein paar Worte nachschlagen, und auch die Schreibweise ist an die Ära angepasst. Wenn eine Köchin im Alt-Dorsetshire Dialekt spricht und Frau Walters dass auch genauso schreibt, dann hab ich jeden Satz zwei mal lesen müssen, um ihn zu verstehen. Passierte selten, aber falls das im ersten Band auch so war, ist das bei der Übersetzung übergangen worden. Hat natürlich atmosphärisch gepasst, hat mich aber etwas angestrengt. Ich habe nochmal ein paar Dialoge verglichen in den beiden Bänden, und meiner Meinung nach klingen die deutschen Dialoge moderner. Teilweise entschieden moderner. Nichtsdestotrotz, auch die englische Ausgabe war eine spannende Lektüre.

Ich fand die Geschichte echt spannend erzählt, das war ein Schmöker, bzw. zwei! , in die man sich echt hineinwühlen konnte und in die Vergangenheit eintauchen konnte. Allerdings muss ich sagen, Teil 1 war besser. In Teil 2 war der Fokus auf der Idee der Gleichheit aller Menschen, unabhängig ihrer Geburt, und das ist für die Menschen des Mittelalters eigentlich nichts anderes als eine schöne Utopie. Ja, Lady Anne und ihre Gefolgschaft leben diese Utopie auf ihrem Dorf, soweit so gut, aber wenn diese Ideen weiter getragen werden und der Rest der Überlebenden in Dorseteshire „bekehrt“ werden soll, dann wurde es für mich ein bisschen zu utopisch. Da ging mir ein bissle der Glaubwürdigkeit verloren. Die Gleichheit aller Menschen bedeutet auch die Gleichheit von Männern und Frauen, und auch das war für die Frauen im Mittelalter schöne Utopie. Mein feministisches Herz lacht, wenn derlei Themen literarisch aufgegriffen werden, aber ich fand es für einen historischen Roman im frühen Mittelalter too much. Also, mein Fazit, beim zweiten Teil der Saga muss ich ein paar Punkte bezüglich der mangelnden Glaubwürdigkeit abziehen.

Abgesehen davon: Atmosphärisch dichte Geschichte, die ich super gern gelesen habe!!!!

Vielleicht gefällt dir auch das: