von Philippe Dijan
Neuerscheinung 2021 im Diogenes Verlag; frz. Original aus 2019
Philippe Dijan war in den 80ern ein Literaturstar, von dem ich sogar damals Teenie gehört hatte (zumindest an der Verfilmung von „Betty Blue“ gab es kein Vorbeikommen 😉), und ihm umgab die Aura des Rebellen. Und wenn man im Umschlag das Autorenfoto anschaut – das ist schon einige Jahrzehnte alt und soll wohl an dieses Image erinnern….
Okay, und ich gestehe, das ist jetzt tatsächlich das erste Buch, dass ich von Herrn Dijan lese. Und ich hatte eine gewisse Erwartungshaltung an Love’n’Sex’Rock’n’Roll : einmal generell vom Autor, zum anderen klingt der Klappentext echt super interessant.
Hierum geht’s: Diana, etwa 50, Zahnärztin, attraktiv, halbwegs erfolgreich, hat bei einem Anschlag ihren Mann Patrick verloren. Seitdem ist etwas in ihr zerbrochen, sie hat schon mehrere Selbstmordversuche begangen, und ihr 20 Jahre jüngerer Schwager Marc ist bei ihr eingezogen, um ein Auge auf sie zu haben. Marc selbst ist jetzt auch nicht unbedingt die stabilste aller Personen, aber er hat zumindest harte Drogen zugunsten Alkohols aufgegeben. Eines Morgens findet er am Strand 3 Päckchen Kokain, die er natürlich einsackt und sich schon vorstellt, dass der Erlös ihn von allen Spielschulden befreien wird. Beim Verchecken soll ihm Schwager Joel helfen. Blöderweise hat Joel gerade aber andere Schwierigkeiten am Laufen, es gibt da eine Leiche, die verschwinden muss…..und in all dem Schlammassel startet Diana dann einen weitere Suizidversuch…. Es läuft alles aus dem Ruder und das Chaos regiert. „Freundschaften zerschellen, Liebe flirtet mit Verbrechen – und mitten aus dem Chaos erwachsen überraschende neue Bindungen und Gefühle“, sagt der Klappentext.
Also vom Plot her ziemlich cool. Ich mag skurrile Stories, und interessante Charaktere.
Von der Umsetzung her hat mich das Buch leider völlig geschafft. Es ist ein schmales Bändchen, knappe 200 Seiten, mit gefühlt auch einer recht grossen Schrift. Und jetzt kommt das Rebellische des Autors: wir haben keinerlei Unterteilungen in Kapitel, und auch Satzzeichen sind völlig überbewertet. Es gibt super viel Dialoge, innere wie äussere, die ohne Gänsefüsschen aneinandergereiht sind. Auch gibt es kaum Absätze. Es ist für mich absolut anstrengend zu lesen. Ich stelle fest: ich bin kein literarischer Rebell, ich liebe Ordnung beim Lesen. Manche Passagen musste ich doppelt lesen, um zu kapieren, wer jetzt hier was sagt / fühlt/ tut, und das ist ein bisschen doof. Oder ich bin zu blöd, könnte man ja auch argumentieren.
Also, ich halte fest: interessante Idee, für mich aber falsch umgesetzt. Ich könnte mir hierbei sogar vorstellen, dass die Story als Film echt gut funktionieren würde. Rasanter, cooler Plot, vor der atemberaubenden Kulisse einer französischen Stadt am Meer, und Charaktere, die was hergeben. Während die 200 Seiten im Buch den einzelnen Protagonisten in ihrer Einzigartigkeit überhaupt nicht gerecht werden können und die inneren Konflikte nur angerissen werden, wäre das in einem Film brilliant darstellbar mit den richtigen Schauspielern. Schon allein Diana, die am Tod ihres Mannes zerbricht und ihr eigenes Leben komplett in Frage stellt – das ist ne Heldin mit extrem viel Tiefgang. Aber in dem Büchlein kriegt sie einfach kein richtiges Gesicht. Finde ich. Oder die vielen Randfiguren wie zB Serge, notorischer Ehebrecher, und seine Frau, von der man nicht viel mehr weiss, als dass sie gutes Gras anbaut, und dann in einem Nebensatz ein übler Unfall von ihr erwähnt wird, der ihr lebenslange chronische Schmerzen beschert hat, gegen die sie „anraucht“. Und dann denke ich mir, boah, das ist ein Schicksal, warum erfährt man nicht mehr? Erwähnt wird die Dame durchaus öfters, aber man erfährt nix mehr von ihr. Etc pp.
Mein Fazit: meine Erwartungen an Rock’n’Roll sind durchaus erfüllt worden, aber anders als gedacht. Und mir hat es dann nicht wirklich Spass gemacht, zu lesen. Schade.
Trotzdem herzlichen Dank an den Diogenesverlag für das Rezensionsexemplar!