von Ronya Othmann
2020 erschienen im Hansaverlag
Der Verlag schreibt hierzu: „Leyla ist die Tochter einer Deutschen und eines jesidischen Kurden… Das ergreifende Debüt der Gewinnerin des Publikumspreises des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs (2019) über das Dasein zwischen zwei Welten“. Die Kritiken hierzu sind komplett konträr. Von Begeisterung bis Zerriss, alles dabei. Das Buch polarisiert, und das macht es spannend, es selbst zu lesen. „Die Sommer“ ist nun auch das Februarbuch in meinem Instagram-Lesekreis bei den @mädelsdielesen , und ich bin auf die Diskussionsrunden echt gespannt.
Also, zum Inhalt, hierum geht’s: Leyla, geboren irgendwann in den 80ern, wächst in Deutschland auf, verbringt aber alljährlich die kompletten Sommerferien bei den Grosseltern in einem kleinem Dorf in Kurdistan. Das Leben dort ist bar jeglicher zivilisatorischer Errungenschaften und das totale kulturelle Kontrastprogramm zum Rest des Jahres in Deutschland. Die meiste Zeit der Sommer scheint Leyla ohne ihre Eltern dort zu weilen, ist aber immer umringt von der zahlreichen Verwandtschaft. Das Leben im Dorf ist geprägt vom Wandel der Jahreszeiten und der Landwirtschaft, und Leyla liebt die Zeit dort. Im ersten Teil des Buches geht es fast ausschliesslich um Leylas Erinnerungen an die glücklichen Zeiten dort im Dorf. Erinnerungen und Anekdoten auch rund um die kurdischen Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen. Erinnerungen auch an das Gefühl, das sie wohl mit vielen Menschen teilt, die zwischen zwei Kulturen pendeln: sie fühlt sich nirgendwo so richtig daheim. Im zweiten Teil des Romans ist Leyla älter, sie studiert, und in Syrien tobt der Krieg. Die Zeiten der friedlichen Sommerferien sind vorbei, der Vater verbringt 24/7 die Zeit vor den Nachrichtensendern des TV, die Mutter versucht, die Familienangehörigen nach Deutschland einreisen zu lassen, der Wahnsinn des Krieges zerreisst die Nerven. Die IS ermordet systematisch die Jesiden, und Leyla ist physisch und mental völlig erschöpft. Ihre deutschen Freunde direkt neben ihr bekommen den Horror aber kaum mit……
Also, man bekommt hier sehr viel harten Tobak serviert, super viel Emotion, super viel ungeschönte Zeitgeschichte.
Was ich gut fand: ich war schon ab Seite 1 in der Geschichte drin. Die Autorin erzählt sehr plastisch. Sie hat einen etwas ungewöhnlichen auktorialen Erzählstil, Dialoge gibt es nicht viel, und wenn, sind die ohne Anführungszeichen gesetzt, und sie springt auch chronologisch gerne hin und her. Es kommt so an, als ob jemand mündlich erzählt, und dabei fällt einem halt auch mal spontan eine Anekdote ein, die so nicht geplant war. Aber: es kam bei mir gut an. Erzählen kann Frau Othmann, keine Frage. Ich hab das Dorf ihrer Grossmutter direkt vor Augen gehabt, und auch die Leute und Situationen in Deutschland waren einfach echt.
Ebenfalls gut gefallen hat mir das Thema, ich muss nämlich sagen, mit dem Kurdenkonflikt habe ich mich bislang wenig beschäftigt. Und jetzt aber mein Kritikpunkt: da hab ich mir mehr von versprochen. Vor allem vom Standpunkt der Jesiden her. Die Autorin lässt viele historische Daten einfliessen, es werden ganz viele Namen genannt, es werden viele historische Infos gegeben, aber dermassen häppchenweise und zusammenhanglos, dass ich nach Lektüre des Romans immer noch nicht in der Lage bin, einen logischen Abriss über den kurdisch-arabisch-syrischen Konflikt zu geben. Also eine Nachhilfestunde in Geschichte und Politik war das nur sehr bedingt. Was ich sehr schade finde. Und die Religion der Jesiden, die ja wirklich sehr speziell ist, wurde nur kurz angerissen. Das wär mal echt interessant gewesen.
Das Buch ist eindringlich geschrieben, man merkt, dass die Autorin da auch viel Herzblut verarbeitet hat, ich würde den Roman aber jetzt auch nicht als Meisterwerk bezeichnen. Ich fand auch, das Ganze – vor allem der zweite Teil – ist weniger Roman als Reportage. Naja, kein Wunder, Frau Othmann ist Journalistin. Und eine relativ junge dazu, was die Vermutung nahelegt, dass hier auch autobiographische Dinge verarbeitet werden. Das wiederum kann ich nur vermuten, ich hab leider keine ausführliche Vita von ihr im Netz gefunden, ausser dem kurzen Wikipediaeintrag, dass sie selbst Tochter eines jesidischen Kurden und einer deutschen Mutter ist.
Mein Fazit: es war spannend, es war emotional, aber leider nicht so historisch rund wie ich dachte, mit einem teils gewöhnungsbedürftigem Erzählstil. Trotzdem, ich empfehle es gerne weiter.