von Remy Eyssen
Neuerscheinung 2020 im Ullstein Buchverlage
Leon Ritter ist Gerichtsmediziner, und vor einigen Jahren aus Deutschland ausgewandert in die französische Provence. Hier leitet er die Pathologie des Distriks um das beschauliche, sonnige Touristenstädtchen Le Lavandou. Seine Lebensgefährtin Isabelle ist Capitaine der lokalen Gendarmerie, und so sind die beiden auch oft beruflich gemeinsam unterwegs.
„Dunkles Lavandou“ ist bereits der 6. Fall für den teilweise recht unorthodox denkenden Ermittler, für mich war es der erste, und das hat überhaupt nichts ausgemacht. Ohne Vorkenntnisse zu den Personen haben zu müssen, konnte ich gleich einsteigen. Jeder Fall ist für sich abgeschlossen, und die Figuren werden so gezeichnet, dass man nicht das Gefühl hat, was verpasst zu haben. So soll es sein bei Krimireihen!
Zum Inhalt: eine junge Frau fällt von einer Autobahnbrücke und wird von einem Schwerlaster überrrollt. Bei der Obduktion stellt Leon fest, dass das Opfer schon vorher tot war, und sadistisch gequält wurde. Wenig später kommt eine weitere Leiche mit ähnlichen Merkmalen auf seinen Pathologietisch, und erste Hinweise deuten auf rituelle Tötungen hin.
Kurze Zeit später verschwinden zwei junge Studentinnen, eine davon die Tochter des französischen Kultusministers, und die Lage in Le Lavandou spitzt sich zu. Eine dramatische Suchaktion beginnt, ein Wettlauf mit der Zeit, in der die lokalen Ermittler mit höchster politischer Ebene zu kämpfen haben.
Ohne weiter zu spoilern: das war ein brillianter Thriller! Rasant geschrieben, trotzdem mit vielen Details zur pathologischen Arbeit, genial geplottet. Im Laufe der knapp 500 Seiten passiert extrem viel, man wird wie in einem Film mitgenommen, und fiebert mit den Ermittlern mit, denen am Ende die Zeit davon zu laufen scheint. Viele Twists halten das Spannungslevel die ganze Zeit sehr hoch.
Definitiv gruselig war natürlich auch das Element der rituellen Tötungen. Einige Folterszenen, bzw Untersuchungen der gefolterten Frauen, werden auch recht plastisch geschildert – nichts für schwache Nerven!
Fokus war definitiv der Fall, und das private Leben von Leon und Isabelle wurde angesprochen, aber nur am Rande. Das finde ich immer gelungen: die Ermittler sind menschlich, und man erfährt ein bisschen was über sie, aber der Fall ist im Vordergrund.
Auf Verlagsseite las ich: „Packende Spannung trifft auf provenzalisches ‚Savoir-vivre’“, und genau so ist es: es erwartet den Leser hier auch viel Lokalkolorit, und das hat Spass gemacht. Ich war noch nie in der Provence, aber nachdem ich jetzt durch Klippen, Olivenhaine, Bistros, Bouleplätze und Hafenpromenaden mit dem Team gereist bin, fühle ich mich fast schon heimisch in Le Lavandou.
Der Spagat zwischen teilweise brutalen Szenen und der Beschreibung des idyllischen normalen Alltags in der südfranzösischen Sommersonne ist gelungen, und ich werde definitiv noch mehr von diesem Autor lesen!