von Christian White
erschienen 2022 im Goldmannverlag
Wir sind in Australien. In Melbourne wartet Kate mit Tochter Mia am Flughafen auf die Rückkehr ihres Mannes John, der gerade eine Konferenz in London besucht hat. Als John nicht erscheint, und Kate auf seiner Arbeitsstelle anruft, erfährt sie, dass John bereits vor ein paar Monaten gekündigt hat, und das vollkommen an ihr vorbei ging. Kate macht sich auf die Suche nach ihrem Mann, und ihre Nachforschungen zeigen nach Belport Island, einer kleinen Insel, auf der die Familie schon seit Jahrzehnten ein Ferienhaus hat.
In Belport Island leben auch Abby, ihr Mann Ray und deren beiden halbwüchsigen Kinder Eddy und Lori. Die Familie lebt von Abbys Teilzeitjob an der Kasse des lokalen Supermarkts und Rays Hausmeisterservice, was in den touristenleeren Wintermonaten naturgemäss eher mager ausfällt. Eines Tages bricht Abbys Welt zusammen: auf Belport Island geschieht ein fürchterliches Verbrechen, in welches ihr Mann verwickelt zu sein scheint.
Kates und Abbys Welt prallen aufeinander, und, so der Klappentext, es „drohen die dunklen Geheimnisse der kleinen Insel auch die beiden Frauen in den Abgrund zu ziehen…“.
Im Original heisst dieses Buch übrigens „The Wife and the Widow“, also „die Ehefrau und die Witwe“, und das wäre passender auch im deutschen, denn die Kapitel werden abwechselnd betitelt mit „Die Witwe“ und „Die Ehefrau“, das ist also ein roter Faden des Buches. Es ist jedesmal die auktoriale Erzählperspektive eingenommen, aber wie gesagt, die Story wird abwechselnd aus der Sicht und dem Leben der beiden Frauen aufgerollt.
Und jetzt wird es ein wenig schwierig, ohne zu spoilern, weiter zu erzählen. Auf langer Strecke begleiten wir wie gesagt abwechselnd die beiden Damen dabei, wie zum einen Kate versucht, die letzten Tage von John zu rekonstruieren, und mehr oder weniger zeitgleich läuft auch Abbys Leben aus dem Ruder vor dem Hintergrund des Verbrechens, das die ganze Insel erschüttert. Beide Erzählstränge sind auch recht spannend – jetzt für meinen Geschmack nicht die absoluten pageturner, aber trotzdem muss ich sagen, es war gut und interessant geschrieben; und am Ende auf die letzten 60 Seiten etwa kommt der Showdown und die grosse Aufklärung. Und die hatte es dann noch mal in sich, denn wir sind als Leser ziemlich an der Nase herumgeführt worden. Sehr, sehr raffiniert gemacht, ich habe tatsächlich noch ein paar Mal im Buch vor und zurückgeblättert, weil ich ein paar Dinge noch mal nachgucken musste. Die Geschichten der beiden Frauen liefen nämlich nicht mehr oder weniger zeitgleich ab, sondern……–> bitte lesen 😊! Das Nachwort des Autors liefert einige Hinweise zur Lösung des Falles, daher mein Tipp: das Nachwort sollte man wirklich erst am Ende lesen, um sich die Spannung nicht zu ruinieren 😊.
Wobei ich tatsächlich ein wenig hin-und-hergerissen war mit diesem letzten Twist, denn es hat mich aus dem Lesefluss herausgeholt. Ich war kurzfristig völlig irritiert, und musste wie gesagt ein paar Namen und Passagen noch ein zweites Mal lesen und gegenchecken, und als ich es dann kapiert habe, war es auch faszinierend, aber ich habe ein paar Momente gebraucht dafür. Und das sind dann leider auch die Momente, in denen ich als Leser etwas genervt bin, ich bin einfach eher der Fan für klassisch aufgebaute Stories.
Also, zusammengefasst, ich war trotz allem zum Schluss hin noch mal richtig gefesselt, das hat das Buch noch mal rausgerissen; aber ansonsten würde ich hier sagen, solider Krimi, aber für mich nicht wirklich herausragend. Auf der Buchrückseite steht die Frage, „Wie gut kennst du die Menschen, die du am meisten liebst?“, und ich bin immer sehr am zweifeln, wenn ich von Ehefrauen lese, die es nicht mitkriegen, dass ihr Mann seinen Job schon vor Monaten gekündigt hat, und die dann aus allen Wolken fallen. Das kommt mir immer sehr unglaubwürdig vor (haben die keinen Blick aufs Konto oder Gehaltszettel?), und ich bin weder mit Kate noch mit Abby richtig warm geworden. Kate ist seit über 10 Jahren mit einem Mann verheiratet, der von teils schweren Alpträumen geplagt ist und auch das hat sie nicht mitbekommen? Hmmmmmm. Und Abby war für mich einfach nicht wirklich sympathisch. Ein bisschen vom Leben unzufrieden. Um mit den Protagonisten eines Romans wirklich mitzufiebern, müssen die für mich glaubwürdig und nahe sein, und das waren die zwei leider nicht so. Das sind jetzt meine persönlichen Luxusprobleme, die ich mit dem Roman hatte.
Und noch was ist mir aufgefallen – das Schriftbild ist relativ gross. Oder zumindest einen Ticken grösser als normal. Das will ich jetzt weder positiv noch negativ bewerten, fiel mir nur auf. Auf diese Weise kommt man dann auf 384 Seiten 😉.
Insgesamt verteile ich 4 von 5 Punkten. Liest sich vom Stil her gut weg, war insgesamt mal was anderes, vor allem mit einer extrem unerwarteten Wendung und Auflösung, war jetzt für mich aus obigen Gründen aber auch nicht der ganz grosse Wurf.