von Sigrid Nunez
Erschienen 2020 im Aufbau Verlag
Susan Sontag, die grosse amerikanische Essyistin, Autorin, Publizistin und Feministin starb 2004 in New York, und Sigrid Nunez, zeitweise die Freundin ihres Sohnes David, lässt in diesem Buch noch einmal ihre Erinnerungen aufleben.
Es ist der Frühling 1976 in New York City, und die 25jährige Sigrid, angehende Schriftstellerin, erhält den Auftrag, bei einer Autorin, die nur ein paar Ecken von ihr entfernt lebt, mit der Korrespondenz auszuhelfen. So trifft sie auf Susan Sontag, und lernt die „glamouröse Denkerin“ privat kennen. Sie verliebt sich in deren Sohn David und zieht schliesslich bei den bei den beiden ein. Fast ein Jahr soll dieses Arrangement dauern, und auch nach der Trennung von Sigrid und David soll Sigrid Susan noch oft begegnen. „Sempre Susan“ ist ein Erinnerungsbuch, und die Vogue sagt: „Sigrid Nunez liefert das bis heute lebendigste und schillernste Portrait von Susan Sontag.“
Ich habe Susan Sontag als Verfasserin feministischer Essays kennengelernt, und fand ihre Schriften immer kompromisslos klasse. Ist schon eine Weile her, dass ich sie gelesen habe, vielleicht wäre mein Blick auf Sie heute anders, aber zu meinen Studienzeiten in den 90ern habe ich die Frau echt bewundert, also war ich jetzt auf dieses Buch gespannt. Ich habe es bei einem Gewinnspiel als Wunschbuch gewonnen, ich muss nämlich auch gleich dazu sagen, 18 EUR für ein nur 140 Seiten schlankes Büchlein fand ich recht happig. Aaaaaber: lohnt sich! Sigrid Nunez hat einen ziemlich ungeschönten, ziemlich realistischen Blick auf Sontag, und gibt uns hier fast schon intime Einblicke in Sontags Persönlichkeitsstruktur. Und das ist nicht immer positiv. Das Zusammenleben mit ihr konnte wohl, freundlich ausgedrückt, ziemlich anstrengend sein. Eine nette Person geht anders. Von Sontag ist bekannt, dass sie eine sehr besitzergreifende, verstörend enge Beziehung zu ihrem Sohn hatte, und nun bricht Sigrid in das Nest hinein – das kann nicht nur gutgehen. Die Autorin schafft es aber, den Respekt nie zu verlieren; Sontags herausragende Persönlichkeit trotz allem nicht zu demontieren, und ihr Werk auch nicht anzukratzen, aber sie schiebt Sontag auf eine normale Grösse zurück, und lässt uns an ihren liebenswerten als auch nicht so liebenswerten Marotten teilhaben.
Das Büchlein ist auf diese Weise ziemlich lebendig, es ist so, als erzähle die Autorin neben einem sitzend aus ihren Erinnerungen. Sie springt durchaus auch mal von einem Thema zum anderen, und wir sind auch nicht immer im Jahre ’76, sondern oftmals pflegt sie weitere Anekdoten aus späteren Jahren mit ein, aber das ist ok, Es ist keine Biographie (a propos, da ist dieses Jahr auch eine von Susan auf den Markt gekommen, die werde ich bestimmt auch noch lesen!), sondern schlicht eine Aneinanderreihung von privaten Erinnerungen. Erinnerungen an eine grosse Essayistin, Erinnerungen an eine coole Zeit der Boheme in New York, Erinnerungen aber auch an eine Beziehung, die unter anderem an der übergross im Hintergrund stehenden Mutter scheitern musste.
Das Buch ist kurz, flüssig zu lesen, oft mit feinem Humor (dem von Nunez, nicht den von Sontag – die hatte davon reichlich wenig zu bieten 😉), und mir hat es sehr gut gefallen.
Um hieran gefallen zu haben, muss man aber zwangsweise ein Interesse an Susan Sontag haben – wie gesagt, das ist keine Biografie. Ein wenig ein „special interest“ – Büchlein also. Daher tu ich mich mit einer generellen Empfehlung schwer. Im englischen ist das Buch übrigens betitelt „A Memoir of Susan Sontag“, und das finde ich irgendwie sehr passend.
Ach ja, der Titel: Susan war weder Mom noch Ms Sontag, noch mochte sie irgendwelche Spitznamen, sie war immer nur Susan, für alle. Sempre Susan halt 😉