von Abir Mukherjee
erschienen 2022 bei Vintage / Penguin Randomhouse UK
Diese Krimiserie ist eine meiner Lieblingsserien, und da bislang erst die ersten 3 Teile auf deutsch erhältlich sind, lese ich auf englisch weiter 😉.
Wir sind hier in den 1920ern in Indien in der Raj-Ära. Die Unabhängigkeitsbewegung ist in voller Fahrt, aber noch herrscht das britische Empire. Die beiden Helden der Reihe sind Captain Sam Wyndham, Brite, seit nunmehr 5 Jahren im Lande, mit seinem Sergeanten, dem indischem Detective Surendranath Banerjee. Die beiden bilden nicht nur ein Ermittlerteam in der Polizei in Kalkutta, der Imperial Police Force, sondern sind auch privat befreundet – ein sehr unterschiedliches Freundespaar und Team, aber ein extrem effektives Gespann.
In ihrem neuesten Fall wird es sehr persönlich: in Kalkutta wird ein Hindu Theologe ermordet aufgefunden. Am Tatort wird Suren vorgefunden und unter Mordverdacht gestellt. Sam muss nun nicht nur seinen Kollegen aus der Haft befreien, sondern auch den wahren Täter finden – und die Ermittlungen führen die beiden nach Bombay und in religiös-extremistische Kreise.
Soweit, so gut, soviel zum Ausgangspunkt des Falles. Allerdings ist dies hier kein „normaler“ Fall für Sam und Suren. Dieses Mal haben wir es mit einem politisch motiviertem Mordkomplott zu tun, das sehr grosse Kreise zieht, und uns die Gesellschaft Indiens in den letzten Zügen der britischen Herrschaft vor Augen führt. Die religiösen Konflikte zwischen Hindus und Moslems sind enorm, und bürgerkriegsähnliche Zustände drohen. Die Frage, die sich vor allem Suren stellt, ist immer wieder: wem nützt diese Spaltung der Gesellschaft? Wer könnte einen hinduistischen prominenten Führer ermorden wollen, und wer hetzt die muslimische Bevölkerung auf? Teile und Herrsche – diese alte Weisheit zieht sich als „food for thought“ durch das gesamte Buch. Die beiden Ermittler sind auf jeden Fall permanent damit beschäftigt, Massenaufstände und Blutbäder zu verhindern….
Wie gesagt, kein normaler Kriminalfall, sondern eine Geschichte, die zum Nachdenken über gesellschaftspolitische Zustände nicht nur im Indien der 20er Jahre anregt.
Auch der Erzählstil ist dieses Mal anders: abwechselnd werden die Kapitel aus der Ich-Perspektive von Suren und Sam erzählt. Das fand ich superspannend, denn die eigene Stimme von Suren kannten wir bislang so noch nicht. Suren, Sohn eines Brahmanen, muss sich hier auch über sich selbst und seine Ideale klar werden. Als Detective der britischen Polizei hält er die britische Ordnung hoch, und ist nun als Mordverdächtiger plötzlich auf der anderen Seite. Als Inder. Kann er da einen fairen Prozess erwarten? Er muss auf jeden Fall alles tun, um den wahren Täter zu finden.
Der Fall selbst hat einiges an Twists zu bieten, es bleibt spannend bis zum Ende, aber die eigentliche Faszination hier war für mich wieder die absolut authentische Atmosphäre, in die uns der Autor eintauchen lässt. Man ist als Leser mittendrin in einer längst vergangenen Ära, man kann hier komplett eintauchen. Und wird dieses Mal gefordert, Kolonialismus und politische Herrschaftsansprüche kritisch zu hinterfragen. Hat mir sehr, sehr gut gefallen.
Noch ein paar Worte zum Englischen: Mukherjee schreibt einerseits mitreissend-flüssig, andererseits ist sein Englisch nichts für Einsteiger. Mukherjee hat ein Faible für lange und verschachtelte, eloquente Sätze (fast schon wie ein deutscher Autor 😉, hahaha), was ich persönlich echt schätze, aber das Level ist definitiv hoch. Nicht unbedingt bei den Dialogen, aber bei den deskriptiven Dingen. Ich fand, das ist jetzt nichts zum nebenbei-durchsuchten, der Stil ist anspruchsvoll.
Mein Fazit: bislang das beste Buch der Serie. Hoffentlich gibt es Nachschub!