von Brendan Nicholaus Slocumb

erschienen bei ‎ Anchor (1. Februar 2022)

Link zum Buch

Auf dieses Buch bin ich durch Instagram aufmerksam geworden, und tatsächlich hat das mich nur deshalb angesprochen, weil ich selbst Geige spiele. Ich fand dann auch die Idee irgendwie sehr cool, dass ein junger schwarzer musikalischer Underdog aus North Carolina eines Tages feststellt, dass die Geige, auf der er spielt, das Familienerbstück, eine Stradivari ist. Also, ich war neugierig und hab das Buch bestellt.

Zu dem Buch gibt es bei Spotify übrigens auch eine Playlist (tatsächlich nicht vom Verlag aus, da hat sich ein Fan die Mühe gemacht, diese Playlist zu erstellen), und wer klassische Musik liebt, muss die Playlist anhören – sie ist wunderschön. Ich glaub, bis ich angefangen habe zu lesen, habe ich die Musik schon rauf und runter gehört 😉. LINK HIER

Aber hey, es geht schließlich um Musik.  Musik ist für Ray McMillan, unseren Helden, die Luft zum Atmen. Er wächst in einer armen Gegend auf, seine Familie ist leicht bis mittelschwer dysfunktional, und eigentlich ist es nur seine Oma, und später eine seiner Tanten, die Ray so etwas wie familiäre Nähe bedeuten. Seine Mutter versteht ihn nicht, und kann mit Rays Musikalität nichts anfangen. Ray übt auf einer Leihgeige seiner Schule, und kann sich keinen Privatunterricht leisten. Und trotzdem: Ray hat Talent und Ehrgeiz, und macht somit auf sich aufmerksam. Eines Tages schenkt ihm seine Großmutter die alte Geige, auf der schon Rays Ur-Ur-Opa spielte – ein Sklave auf einer Baumwollfarm, der mit seinem Spiel einst sein Leben rettete. Für Ray hat diese Geige eine ganz besondere emotionale Bedeutung, sie ist seine Verbindung zu seiner Großmutter und seinen Vorfahren.

Ein paar Jahre später im College stellt er fest, dass besagtes Familienerbstück eine Stradivari ist – und das soll sein Leben komplett auf den Kopf stellen. Eine 10-Millionen-Geige bei Ray? Die Verwandtschaft dreht durch und will ein Stück vom Kuchen abhaben. Und plötzlich sind auch ganz andere Leute auf dem Plan: tatsächlich stellen die Nachkommen der Sklavenhalter ebenfalls Besitzansprüche. Und dann wird die Geige plötzlich gestohlen – gerade als Ray sich auf den wichtigsten Wettbewerb in seinem Leben vorbereitet…..

Der Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt: auf der einen Zeitschiene sind wir im hier und jetzt, wo der erwachsene Ray sich auf die Tchaikowski Competition vorbereitet und seine Geige gestohlen wird, und in einer zweiten Ebene rollen wir die Lebensgeschichte von Ray und seiner Geige auf. Die beiden Zeitschienen treffen sich zum Ende hin natürlich, und die Geschichte ist komplett aufgerollt, aber bis dahin fiebern wir mit Ray durch sein Leben.

Ich habe den Roman echt geliebt. Das war mal was komplett anderes. Super spannend geschrieben, man konnte durch die Seiten fliegen. Wobei ich sagen muss, der Roman ist natürlich irgendwo special interest. Wenn man mit klassischer Musik und speziell mit dem Instrument Geige nichts anfangen kann, dann ist man hier leicht fehl am Platz. Der Autor ist selbst Musiker, und kann daher super authentisch aus dieser Szene erzählen, aber wie gesagt, man muss ein bissel Interesse schon mitbringen, sonst kann es hier zäh werden. Wenn Ray beispielsweise seinem Idol Hilary Hahn nacheifert, so fand ich das eine witzige Anekdote – vor einem Jahr aber noch hätte ich mit dem Namen nichts anfangen können, und dann ist der Witz halt nicht da. (Hilary Hahn ist eine amerikanische gefeierte Geigerin, die aktuell durch die Welt tourt – die amerikanische Version von Anne Sophie Mutter. Die zumindest ist in Deutschland ein Begriff, denke ich.)

Was ich nicht gar nicht erwähnt habe, was mir aber beim Lesen zwischendurch immer wieder das Herz zerrissen hat: dieser Roman dreht sich auch um Rassismus. Den ganz alltäglichen Rassismus, dem Schwarze permanent ausgesetzt sind. Ray ist schwarz, er hat keine guten Startbedingungen, und als schwarzer Musiker wird er oft nicht ernst genommen. Im Nachwort berichtet der Autor, das ihm selbst diese Dinge auch ständig widerfahren sind, und da musste ich echt öfters mal schlucken.

Vor allem der Part, wenn es um die Provenienz der Geige ging und sich die Nachfahren der Sklavenhalter ins Spiel gebracht haben, hat mich echt geschockt. Die Sklaverei in Amerika ist noch gar nicht so lange her, es sind nur einige wenige Generationen seither vergangen (Rays Ururopa wurde noch in der Sklaverei geboren), und die Traumata sind noch sehr lebendig.

Ich war gefesselt und begeistert, und vergebe volle Punktzahl! Sehr coole Story.

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