von Sarah Kessler
Neuerscheinung 2021 im Hansanord Verlag
Der Klappentext verrät: „Zwei Frauen, deren Wege sich kreuzen. Zwei Traditionen – zwei Morde aus gleichen Motiven. Ein gemeinsamer Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung“.
Tradition Mord ist das Debüt von Sarah Kessler, geb. 1993, und Absolventin einer Journalismus & Recht- Ausbildung. Aktuell studiert die Autorin Jura mit Schwerpunkt Kriminologie. Ich finde das als Hintergrundwissen recht interessant, denn eine der beiden Hauptprotagonistinnen in diesem Krimi ist Frida, eine junge, ehrgeizige Staatsanwältin in Berlin-Moabit, die in einem Mordanschlag auf eine türkische Studentin ermittelt, und dabei an ihre Grenzen stösst – und zwar nicht nur im justiziellem Raum, sondern auch privat. Mit dem Background der Autorin sind die Ermittlungen und Überlegungen von Frida sehr authentisch und überzeugend dargestellt.
Staatsanwältin Frida bearbeitet einen aktuellen Mordanschlag, doch als sie die Familiengeschichte des Opfers beleuchtet, werden wir in die 80er Jahre zurück versetzt: Die Zwillingsschwestern Sabiha und Sadiye wachsen mit ihrem Bruder Kemal in West-Berlin auf. Die Eltern sind relativ weltoffen, doch natürlich sind kulturelle Konflikte vorprogrammiert, vor allem, als Sadiye beginnt, aus dem patriarchalisch geprägtem Umfeld auszubrechen und sich einen deutschen Freund zulegt. Ihre Schwester Sabiha steht zwischen den Fronten, und muss ihre ganz eigenen Erfahrungen machen. Sabihas und Fridas Wege werden sich kreuzen, denn das Opfer des Messerangriffs ist Sabihas Tochter…
Zentrales Thema des Buches ist die Gewalt gegen Frauen, die in Femiziden gipfelt. Und das passiert in Deutschland öfters als man denkt. Die Statistik, nach der täglich ein Mann versucht seine (Ex)-Partnerin umzubringen, und das in einem Drittel aller Fälle auch gelingt, wird gleich mehrfach zitiert. Anders als die sogenannten Ehrenmorde, bei denen meist im „Clanumfeld“ Frauen getötet werden, weil sie angeblich die Ehre meist muslimischer Familien beschmutzt haben, bekommen die meisten dieser Frauenmorde aber relativ wenig Aufmerksamkeit und werden als Eifersuchtstaten oder Beziehungstaten abgetan. Totschlag im Affekt sozusagen, und da steht nicht allzu viel Gefängnisstrafe drauf. Übrigens völlig gleichgültig, welcher Kultur oder Nationalität der Täter entstammt: männliches Besitzdenken, Eifersucht, verletztes Ehrgefühl sind universell. Dieser Ungeheuerlichkeit greift die Autorin auf, beleuchtet sie und lässt ihre Protagonistin Frida aufstehen und zumindest einem Opfer eine Stimme geben.
Ein sehr wichtiges Thema, und daher auch ein sehr wichtiges Buch. 250 spannende Seiten, mit einem relativ langem und interessantem Nachwort einer türkischen Juristin, die sich dem Thema Femizid und Patriarchat noch einmal auf sachlicher Ebene widmet.
Leider hat das Buch ein paar Ecken und Kanten, die mir nicht so gut gefallen haben, und daher bremse ich meinen Enthusiasmus jetzt etwas. Die Story war spannend, keine Frage, aber ich hatte in grossen Teilen ein bisschen das Gefühl, an einer Doku teilzuhaben. Die Autorin ist Journalistin, das ist meine Erklärung. Ich konnte zu den Figuren nicht wirkliche Nähe aufbauen, ich hatte oft den Eindruck, einer faszinierenden Reportage aus den 80ern zuzusehen, aber aus der Distanz. Der Part im hier und jetzt mit Frida in Ermittlungsarbeit war da gefühlt viel echter, da war ich dann wieder „im Roman“ drin.
Und was mich wirklich gestört hat – und jetzt möge der Shitstorm über mich kommen: Frau Kessler gendert. Ganz bewusst. Und ständig. Es gibt ständig die Staatsanwält:innen, die Freund:innen, die Anhänger:innen zu lesen, und wenn das gendern konsequent durchgezogen wird, dann steht das auf jeder dritten Seite. Mein Anti-Favorit war hier Atatürk, der als „Vater aller Türken:innen“ erwähnt wurde. Ich weiss, Sprache ist der Spiegel der Gesellschaft, aber ich bin altmodisch, ich hab immer das Gefühl, die deutsche Sprache wird vergewaltigt, wenn ich dieses gendern lese. Es ist für mich auch was anderes, wenn ich in einem offiziellen Schreiben als „liebe TeilnehmerInnen“ angesprochen werde, damit kann ich leben, aber im Roman, in der Belletristik, nee, sorry, das tut mir beim Lesen weh. Ja. Wenn das Buch sonst nicht so gut gewesen wäre, ich wäre eventuell ausgestiegen.
Also, mein Fazit: es geht hier um Freiheit, um Menschenrechte (denn was anderes sind Frauenrechte nicht), um sexuelle Selbstbestimmung, um das, was wirklich zählt im Leben, verpackt in einen spannenden Krimi, daher empfehle ich das Buch definitiv weiter – aber liebe Leser:innen 😉, seid gewarnt, hier wird gegendert, was das Zeug hält!
Ich bedanke mich recht herzlich beim Hansanordverlag für die Zusendung des Rezensionsexemplares!