von Glennon Doyle
Rowohlt Polaris 2019
Der Klappentext sagt: „Glennon Doyle zeigt uns, was Grosses geschieht, wenn Frauen aufhören, sich selbst zu vernachlässigen, um den an sie gestellten Erwartungen gerecht zu werden und anfangen, auf sich selbst zu vertrauen. Wenn sie auf ihr Leben schauen und erkennen: Das bin ich. Ungezähmt.“. Ein Aufruf also an alle Frauen, sich auf sich selbst zu berufen, und ihr wahres Selbst auszuleben. Ein feministischer Aufruf. Ein wichtiger Aufruf. Und mein feministisches Herz hat gelacht, und ich musste das Buch lesen. Ausserdem wurde das Buch von Reese Witherspoon empfohlen, und ich verfolge ihrem Instagram-Buchclub seit langem, sie haben dort jeden Monat eine meist brilliante Leseempfehlung. Zusätzlich ist „Ungezähmt“ momentan ein Buch, das auf allen social media Kanälen gehyped wird als DAS Manifest der zu befreienden Frau unserer Zeit.
So. Nachdem ich das konstatiert habe, bin ich beim Lesen des Buches schnell ernüchtert worden. „Ungezähmt“ ist eine Art Autobiographie von Ms Doyle, in der sie ihre Lebensproblematiken (Bulimie, Alkoholismus, mangelndes Selbstwertgefühl, die ewige Suche nach Glück) verarbeitet. Das hat sie in ihren vorherigen Büchern wohl auch schon getan, hier kommt jetzt noch das Element hinzu, dass sie ihren Mann, der sie jahrelang betrogen hat, verlassen hat für eine Frau, mit der sie nun glücklich verheiratet ist. In relativ kurzen, relativ vielen Kapiteln nimmt uns die Autorin quer durch ihr ganzes Leben mit, und reflektiert. Als renommierte Schriftstellerin weiss sie flüssig und gefällig zu schreiben, das Buch liest sich recht flott, und es wird eigentlich kein Thema, das polarisieren könnte, ausgelassen. Süchte, verkorkste Beziehungen, Probleme in der Kindererziehung, die Klimaerwärmung, Rassismus und Black Lifes Matter, you name it, und in jedem Abschnitt versucht uns die Autorin wachzurütteln. Wachzurütteln, immer die eigenen Entscheidungen zu treffen. Frei zu sein. Authentisch zu sein. Als Frau authentisch und frei zu sein. Und das ist schön und gut, und ich unterstreiche diese Message grundsätzlich, und das auch gerne mehrfach, aber mir ging in diesem Buch nix irgendwie in die Tiefe. Ms Doyle ist Amerikanerin, und mir kam diese Schrift teils wie ein flammendes „Tschaka, yes we can“ – vor. Und nochmals, das ist okay, aber das ist für mich A.) keine neue Erkenntnis, und B.) füllt das für mich kein Buch. Das reisst mich nicht im mindestens vom Hocker, und ich verstehe nicht, wie andere Leserinnen dieses Buch als den Augenöffner ihres Lebens bezeichnen können?! Beworben wird das Buch damit, dass es Finger in die Wunden legen, und uns (als Frau) die Gitterstäbe unseres Lebens erkennen lasse, denen wir dann – nach der Lektüre – entgegentreten können. Und das kann ich jetzt echt nicht nachvollziehen. Ms Doyle berichtet aus ihrem Leben, und von ihren eigenen Gitterstäben, und das ist teils tatsächlich interessant, aber hat sie selbst diese Gitterstäbe überwunden? Ich bin nicht sicher. In einem der Kapitel beschreibt sie, wie ihre Tochter Tish sich für eine Fussballauswahlmannschaft bewirbt. Ehefrau Abby und der Kindsvater motivieren das Mädel und trainieren mit ihr, und die Autorin selber berichtet episch, dass sie selbst am liebsten die Aktion stoppen würde, weil sie das Talent der Tochter nicht sieht und sie vor Enttäuschungen bewahren möchte. Und am Ende, als Tish aufgenommen wird, ist alles super, und das Mädel entwickelt sich als brilliante Sportlerin und Kameradin. Was ich super finde. Aber was soll ich jetzt aus Ms Doyles Verhalten lernen? Irgendwie….nichts.
Ich dachte erst, ich bin vielleicht mit 49 Jahren die falsche Zielgruppe, aber die Autorin dürfte jetzt, 2020, Mitte 40 sein, also eigentlich nicht. Ich denke trotzdem, dass sich hier vor allem jüngere Frauen angesprochen fühlen dürften, die mit dem Backlash des Feminismus der ersten Wellen aufwachsen oder aufgewachsen sind, und diese dürften sich auch vom Plauderstil des Buches angesprochen fühlen. Für mich war das nix. Kein Tiefgang, nix Neues, im Subton ein für mich schwer erträgliches Sendungsbewusstsein, und ein Platt-Treten von Allgemeinplätzen.
Es fällt mir schwer, ein Buch negativ zu bewerten, dass eigentlich Frauen stärken soll, aber sorry, ich habe hier nach einer Weile nur noch quergelesen. Ich hab mir mehr erwartet.
Ich bedanke mich trotzdem recht herzlich beim Rowohlt Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!