von Dominique de Marne
In diesem stark autobiographisch geprägtem Buch handelt es sich um ein Plädoyer gegen die Stigmatisierung psychischer Krankheiten. Ein Plädoyer für mehr Verständnis und Offenheit gegenüber psychisch Erkrankten, und ein damit ein Plädoyer für das reden, für das Miteinander. Für Hilfe, für Prävention, für mehr Mitmenschlichkeit.
Die Autorin hat selbst eine langjährige Geschichte mit psychischen Erkrankungen hinter sich, und ihre Diagnose lautet Borderline-Syndrom, gepaart mit Alkoholabhängigkeit und Depression. Und hier fällt schon das erste grosse Stichwort: Diagnose. Vor der Diagnose war sich die Autorin nämlich nicht bewusst, dass sie überhaupt an einer Krankheit leidet. Dass sie leidet war klar, aber dass es hierfür ein Krankheitsbild gibt, dass tatsächlich auch behandelbar ist, das war einer der Wendepunkte.
Ausgehend von den eigenen Erkrankungen erklärt sie die diversen medizinischen Diagnostik-tools – und das war für mich super interessant, zu sehen, welche verschiedenen Fachleute es gibt (Psychiater? Psychotherapeut? Coach? Was macht wer und wieso?), und welche spezifischen Krankheitssymptome es gibt, oder welche erfüllt sein müssen, um überhaupt eine Krankheit zu diagnostizieren. Und wer hat überhaupt diese Leitlinien erstellt, denn es gibt mehr als eine offizielle Katalogisierung für psychische Krankheiten (und wer hätte gedacht, dass es derlei so viele gibt? Ehrlich gesagt, ich nicht.).
Das sie selbst Borderlinerin ist, und an Depressionen leidet, werden naturgemäss diese Krankheiten genau erklärt, und allein das war für mich sehr interessant, denn was genau Borderline ausmacht, wusste ich gar nicht. Obwohl dieses Wort ja mittlerweile in aller Munde ist.
Interessant auch, wenn die Autorin über die katastrophale Versorgungslage berichtet, auch das war mir nicht bewusst: die meisten psychischen Erkrankungen beginnen vor dem 14. Lebensjahr, werden oftmals jahrelang nicht erkannt, und wenn sie denn erkannt werden und der oder die Betroffene sich entschlossen hat, Hilfe zu suchen, dann wird’s nochmal richtig lustig, denn es gibt zu wenig Kassensitze für Therapeuten, und man muss sich auf Wartezeiten von 9-12 Monaten gefasst machen, bevor man überhaupt mit einer Therapie loslegen kann. Wohl dem, der sich das privat leisten kann, da wartet man wohl nicht so lange, aber auch hier gibt riesige Versorgungslücken. Bucheingangs werden die aktuellen Zahlen für Deutschland aufgezählt, und die sind, salopp gesagt, nicht lustig, dafür, dass fast jeder 4 unter uns im Laufe seines Lebens zumindest mit leichen psychischen Problemen respektiven Süchten zu tun hat.
Dominique de Marne nimmt uns mit auf ihre eigene Therapiereise, berichtet, wie ein Tagesablauf in einer Klinik für psychisch Kranke aussieht, welche Arten von Therapien es gibt, und welche Tools ihr geholfen haben, ein mittlerweile zwar kein völlig gesundes und normales (aber was ist eigentlich normal?) Leben zu führen, aber doch ein sehr viel ruhigeres und lebenswerteres Leben zu führen.
Mittlerweile ist die Autorin vollzeit selbständig und leitet Aufklärungskampagnen, schreibt einen Blog über Mental Health, hält Vorträge und kämpft dafür, dass psychische Krankheiten gleichgesetzt werden mit anatomischen Krankheiten.
Ein wichtiges Thema, ein wichtiges Buch! Leicht und flüssig zu lesen, aber doch vollgepackt mit Informationen, Zahlen, Fakten. Ich empfehle es unbedingt weiter!