von Stephen Price

 

Ich habe mich so auf dieses Buch gefreut: ich liebe viktorianische Krimis. Ich liebe dicke Wälzer. Ich liebe London. Und dieses Buch schien alles zu vereinen. Dann war es da: edle Otik. Tolle

Haptik, die einzelnen Seiten dünnes, sehr hochwertiges Papier, Lesebändchen. Die ersten Seiten liessen sich gut an. Mein Bücherherz lachte.

Jetzt lache ich nicht mehr, denn sorry, das war leider nix für mich. Dabei war die Story so vielversprechend: Zwei Männer jagen 1885 in London nach Charlotte Reckitt,  Betrügerin und femme fatal. Der eine ist William Pinkerton, Erbe der amerikanischen Pinkerton Detektei, der sie dingfest machen will, und Adam Foole, Gentleman-Gauner, der seine ehemalige Geliebte wiedersehen will. Pinkerton beschattet Reckitt eine Weile, und auf einer seiner Verfolgungen stürzt sie sich von einer Brücke in die Themse. Am anderen morgen wird eine verstümmelte Frauenleiche geborgen, und als Charlotte Reckitt identifiziert. Nun sind Pinkerton und Foole auf der Jagd nach ihrem Mörder. Wobei sich für den geschätzten Leser schon zeitnah die Frage aufwirft, ob es sich bei der Toten überhaupt um Miss Reckit handelt, aber wenn es nicht sie ist, wer ist die Leiche dann?

Das ist wie gesagt die spannende Ausgangslage, und bei den Ermittlungen sind wir mit Pinkerton und dem Scotland Yard unterwegs, bzw mit Foole in den Niederungen der Londoner Gesellschaft in zwielichtigen Gegenden und Spelunken. Leider sind wir aber nicht nur bei den Ermittlungen mit an Bord, sondern auch bei epischen (und episch ist episch! Das Buch ist dick!) Rückblicken in Pinkertons Leben, und auch die Biographien aller Nebenpersonen rund um Foole herum werden extrem detailliert erzählt. Der Fall an sich ist irgendwie nur Nebensache. Dafür nehmen wir in aller Ausführlichkeit an diversen Einsätzen des jungen Pinkertons an Verhaftungen von Eisenbahnräubern im Wilden Westen teil, und lernen so einiges nebenbei über den amerikanischen Bürgerkrieg. Nicht uninteressant, aber auch nicht relevant. Und es sind hunderte von Seiten, die hierbei drauf gehen.

Dieses Buch und vor allem der Erzählstil Prices wurden hochgelobt, und ich bin echt zwiegespalten. Erzählen kann er, wirklich , das Buch ist atmosphärisch dicht, aber das hätte ich mir vielleicht lieber erzählen lassen sollen, denn geschrieben war es anstrengend: durchgehend wird auf Interpunktion bei der wörtlichen Rede verzichtet. Kein Anführungszeichen nirgends, und gesprochen wird auf fast jeder Seite. Das macht mich WAHNSINNIG! Teilweise wird auch Slang ausgeschrieben, und das liest sich dann so: Sollse / machma / manchma / habse. Geht für mich gar nicht, vor allem weil ich mir dabei vorstelle, dass das ja eine deutsche Übersetzung ist. Das englische Aye allerdings wurde ständig unübersetzt stehengelassen. Las sich für mich komisch.

Also mich hat das Lesen gestresst, und ich gestehe, ich habe ab Seite 350 nur noch quergelesen, und die letzten paar Kapitel dann wieder in Angriff genommen, weil ich wissen wollte, wie es ausgeht.

Echt schade. Ich bin enttäuscht. Ich wollte das Buch mögen, aber hab es nicht geschafft, einen Bezug dazu aufzubauen. Und kein einziger Protagonist war mir sympathisch. Ich fand sie zwar alle detailliert, aber irgendwie auch distanziert beschrieben (diesen Widerspruch kriegt der Autor hin). Niemand, bei dem ich mitfiebern konnte. Ich wiederhole mich: schade.

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