von Vivian Gornick

Neuerscheinung 2020 im Penguin Verlag

Vivian Gornick, geboren 1935 als Tochter jüdischer Einwanderer in New York, ist Journalistin und radikale Feministin. Ich habe im Laufe der Jahre immer mal wieder ein Essay oder einen Artikel von ihr gelesen, und fand die meisten brilliant, und habe mich daher auf dieses Büchlein (158 Seiten – ja, Büchlein) gefreut. Im Original ist es betitelt mit „The Odd Woman and the City. A Memoir“, was meines Erachtens auch der bessere Titel ist. Denn eines ist Ms Gornick definitiv: Odd. Ein bisschen seltsam. Nicht unbedingt negativ gemeint, aber durchaus nicht der Norm entsprechend. Mit messerscharfen Verstand gesegnet, beobachtet und seziert sie sich selbst, ihre Mitmenschen, die gesellschaftlichen Strukturen, das Leben allgemein. Und natürlich das Leben in New York, der einzigen Stadt, in der sie sich wohl fühlt. Wobei Wohlfühlen immer relativ ist. Denn dass sie selbst eine Neurotikerin ist, das ist ihr klar, und sie ist die erste, die das zugibt.  Immer auf der Suche nach Liebe, nach Freundschaft, nach dem Verstanden-sein, nach intellektueller Tiefe und Nähe. Und doch ist sie immer diejenige, die sogleich die Erbse unter allen Matratzen entdeckt, und diese auch nicht in der Lage ist, zu ignorieren.

Aber zurück zum Buch. Eingebettet in die jahrzehntelange, platonische Freundschaft zwischen ihr und Leonard, mit dem sie sich allmonatlich trifft, erzählt dieses Buch aus Ms Gornicks Leben. Sie berichtet Anekdoten aus ihrer Kindheit und Jugend, beschreibt viele Begegnungen mit ihren Mitmenschen, zufällige oder regelmässige, und natürlich geht es immer wieder um new York. Eigentlich ist dieses Memoir eine Liebeserklärung an New York. Ein Absatz des Büchleins ist der 1883 geborenen Schriftstellerin Mary Britton Miller gewidmet, die ebenfalls New York literarisch ein Denkmal gesetzt hat, und Gornick zelebriert dies. Für Miller definiert sie: „Diese Beziehung zwischen dem Ich und der Stadt ist (….) das eigentliche Thema, der modernistische teil ihres Unterfangens (….)“. Und das trifft auf „Eine Frau in New York“ gleichfalls zu. Es geht immer wieder um das Ich und die Stadt.

Das Buch ist im Prinzip ein Sammelsurium an erzählten Begegnungen, Erinnerungen, Interpretationen, sezierten gesellschaftlichen Strukturen, der letzten 100 Jahre. Autoren, die Gornick, beeindruckt haben, kommen ebenso zu Wort wie Zufallsbegegnungen im Bus und auf der Strasse. Eine Einteilung in Kapitel gibt es nicht, und die Abschnitte reihen sich teils übergangslos aneinander.

Ich bin ein wenig zwiegespalten in der Bewertung des Büchleins. Gornicks Stil ist elegant, aber immer flüssig lesbar, aber mir waren das teilweise zuviel wahllos aneinandergereihte Erzählungen. Ich glaube, stückweise genossen beispielsweise als Essay oder Kurzgeschichte in Fortsetzungen wäre jedes einzelne Kapitel (ich nenne es jetzt so, obwohl es explizit keine gibt) ein kleiner Leckerbissen gewesen. Hintereinander durchgelesen war es irgendwie schwer verdaulich, mir hat der Zusammenhang gefehlt. Was mir z B nicht gefallen hat, wenn ein spannendes Kindheitsereignis erzählt wurde (sie ist in der Bronx aufgewachsen, das war durchaus faszinierend zu lesen) im nächsten Absatz völlig zusammenhangslos abgelöst wurde von der Beschreibung einer Begegnung mit Menschen im Bus, die sich streiten. Oder vielleicht hab ich Banause den Zusammenhang auch einfach nicht erkannt.

Die Tageszeitung schreibt „Die Verbindung von Intellektualität und Emotion, feinster auch sinnlicher Wahrnehmung durchdringt Vivian Gornicks ganzes Schreiben und bringt es zum Leuchten“. Will ich gar nicht abstreiten, aber teilweise hat mir auch viel Selbstliebe entgegengeleuchtet, und das war geballt einfach auch etwas zu viel. Für mich.

Es war zum Lesen ein bisschen sperrig, wie gesagt. Wer es lesen will: hier empfiehlt es sich, eine Leseprobe vorab zu geniessen. Es ist kein Roman, es ist keine Biografie, es ist ein Memoir, und das wird, ich hab es extra nachgeschlagen, definiert als „das neue persönliche Erzählen.“ Autobiografische Erzählungen, die weiter verdichtet und strukturiert werden. Mit was immer auch dem Autor / der Autorin dazu gerade einfällt. Muss einem gefallen. Dieses hier konnte mich leider nicht wirklich überzeugen.

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