von Volker Dützer

Erschienen 2021 im Gmeiner Verlag

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Die Ungerächten – das sind die Millionen unschuldigen Toten, die im 2. Weltkrieg und davor Opfer des Nationalsozialismus wurden, und deren Mörder niemals zur Verantwortung gezogen wurden. Aber nicht alle Ermordeten blieben damals ungerächt. Nach dem Krieg wurden einige Verbrecher ordentlich gerichtet – und einige wurden gerichtet von denen, die selbst Rache übten.

Und damit sind wir auch schon mitten im Buch drin. Wir sind in den Nachkriegsjahren. Die Frankfurterin Hannah ist Halbjüdin, ihre Mutter starb an Gestapofolter, und Hannah selbst hat ein Martyrium in diversen Lagern und ärztlichen Einrichtungen hinter sich, aber sie ist eine Überlebende. Und eine toughe Überlebende, denn als wir ihr zu Beginn des Romans begegnen, arbeitet sie als Pilotin und Mitarbeiterin beim amerikanischen Militär und hat dabei geholfen, einige ihrer ehemaligen Peiniger aufzutreiben und vor Gericht zu bringen. Allerdings muss sie frustriert feststellen, dass viele ehemalige Nazis nach dem Krieg eben nicht für ihre Taten einstehen müssen, sondern im Gegenteil entweder auf ausgefeilten Schlepper-Routen gen Südamerika flüchten, oder aber schlicht mittels der sogenannten Persilscheine entnazifiziert sind und in ihren alten Berufen als Arzt oder Beamter weiterleben, als sei nichts passiert.

Und dann gibt es Pawel, dem wir in einem anderem Erzählstrang begegnen. Pawel ist Pole und seit knapp 2 Jahren Insasse eines Lagers. In den letzten Kriegstagen wird sein Lager aufgelöst – was im Klartext bedeutet, dass die Bewohner noch schnell ermordet werden sollen, bevor die Lagerleitung die Flucht antritt. Pawel überlebt – anders als seine Schwester und sein Vater, dem er im Sterben verspricht, dass er Rache nehmen wird.

Hannah und Pawel treffen in Köln aufeinander, in einer Bande von Schwarzmarktschiebern, immer auf der Suche nach Geld, einem besseren Leben, und nach Vergeltung. Während Pawel aber von Hass zerfressen ist und nur noch Selbstjustiz praktiziert, erkennt Hannah, dass sie sich nicht von Hassgefühlen kaputt machen lassen kann und mehr vom Leben erwartet……und ausserdem gibt es da auch noch Scott, den amerikanischem Offizier, mit dem sie in Frankfurt zusammen gearbeitet hat, und mit dem sie so viel mehr noch verbindet……

Soviel zum Inhalt. Knapp 500 Seiten Action, Spannung, Kriminalhistorie. Ich fand es superspannend. Hier sind Historie und Roman brilliant verknüpft. Ich habe mit Hannah mitgefiebert, und nebenbei noch eine Menge über die Entnazifizierungen der Nachkriegsjahre gelernt. Das Buch war echt gut recherchiert, es gibt hier noch ein sehr interessantes Nachwort, indem der Autor noch ein paar Quellen angibt und noch ein wenig zu den Fluchtpraktiken der NS Grössen gibt, die damals ausgerechnet mit Hilfe der Kirche ihren Weg nach Argentinien & Co fanden.

Immer wieder debattiert der Autor auch die Frage, wieso der Mensch so böse sein kann. Oder anders ausgedrückt, wie kommt das Böse in den Menschen, eine philosophische Frage, mit der man sich ja auch heute noch intellektuell befasst. Und er gibt einige sehr interessante Antworten, nebenbei bemerkt.

Ja, und was ich noch klasse fand: es gibt hier eine Menge Lokalkolorit. Ein Grossteil des Romans spielt im Frankfurt der Nachkriegsjahre, und da ich in Frankfurt aufgewachsen bin, war ich fasziniert. Meine Oma wurde damals in Frankfurt ausgebombt, und für mich sind hier ein paar ihrer Erzählungen in Farbe vor meinem geistigen Auge aufgefahren. Das hatte natürlich seinen speziellen Charme. Ich hab öfters lächeln müssen. In einer Szene bekommt Hannah einen Heiratsantrag und gleich dazu ein neues Heim angeboten, eine Gründerzeitvilla in Bockenheim am Park, und das hatte ich direkt so vor Augen (….und mir grinsend dabei gedacht, der Kerl muss schon ganz schön daneben sein, wenn man hier ablehnt 😉).

Also, mich hat das Buch begeistert, ich bin durch die Seiten geflogen, und es war jederzeit spannend.

Übrigens, man muss den ersten Band nicht kennen, um diesen zweiten Teil von Hannahs Lebensgeschichte zu lieben. Ich bin auch mit diesem zweiten Teil eingestiegen, kein Problem. Ich hab auch erst beim lesen des Nachwortes festgestellt, dass es schon einen ersten Teil gegeben hat.

Dann bleibt mir nur noch ein DANKE an Netgalley.de für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplares!

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