von Anette Lucius
erschienen 2024 im Hansanordverlag

Klappentext: “Mitte fünfzig ist Karoline und seit Jahren erfolgreich als Zahnärztin in eigener Praxis, als die Diagnose Parkinson in ihr Leben kracht. Ihre Freunde, die Familie, ihr behandelnder Arzt – alle wissen, wie sie sich zu verhalten hat. Doch der Seitenwechsel von der Ärztin zur Patientin trifft sie hart. Aus der großen Gruppe der Gesunden an den Rand katapultiert. Aussortiert. Für den Rest des Lebens. Fünf Jahre lang sucht Karoline einen Weg aus dem Chaos, das die Diagnose in ihrem Leben anrichtet. Wo ist er, der Leitfaden zum Verhalten bei unheilbaren Krankheiten? Und wer bestimmt die Normen für das Akzeptieren des Unabänderlichen? Wird Karoline es schaffen, das Schicksal anzunehmen, das die Krankheit ihr auferlegt hat?“
Im Hansanordverlag gibt es immer wieder ungewöhnliche Geschichten zu entdecken, viele davon beruhen auf wahren Begebenheiten und Biographien, und die Geschichte von Anette Lucius gehört auf jeden Fall dazu. Ich muss jetzt allerdings auch gleich sagen, ich habe speziell an diesem Bericht aber auch ein persönliches Interesse, da in meinem Familienkreis gerade auch Parkinson diagnostiziert wurde, und ich mir hier anhand eines „Fallbeispiels“ auch weitere Informationen zum Krankheitsverlauf erhofft habe. Ich war also echt gespannt auf das Buch.
Etwas über 260 Seiten dick ließ sich der Roman auch weglesen wie „geschnitten Brot“, sprich, die Autorin schreibt sehr flüssig und durchaus fesselnd. Der Roman ist aus der Ich-Perspektive geschrieben, ist in mehrere Teile untergliedert und chronologisch geordnet. Wir starten im Jahre 2016, 2 Jahre vor der Diagnose, und arbeiten uns dann langsam bis 2023 vor. Anette Lucius aka Karoline Altenberg, ihr literarisches Alter Ego, ist Zahnärztin aus Leidenschaft in der ostdeutschen Provinz (ok, scheint schon eher eine Kleinstadt zu sein, aber definitiv fernab der Metropolen), hat sich ihren Lebenstraum mit einer gutgehenden eigenen Praxis verwirklicht; sie ist Single und hat ihren Sohn Konstantin, angehenden Mediziner, allein großgezogen. Sie hat genügend Freundinnen und ist mehrfach im Jahr im Urlaub. Das Leben ist schön – bis es das nicht mehr ist und ihr Körper ihr nicht mehr so ganz gehorchen will und sie mit Mitte 50 die Diagnose Parkinson bekommt. Und der Klappentext drückt es passend aus: diese Diagnose stellt Karolines Leben auf den Kopf und sie weiß nicht, wie sie damit umgehen soll.
Knapp die Hälfte der Zeit widmet sich die Autorin den 2 Jahren vor der Diagnose – was in ihrem Fall durchaus heißt, das böse Unwort Parkinson stand auch schon im Raum, war aber nicht fix bestätigt, und konnte verdrängt werden. Es wird auch noch einmal sehr lange dauern, bis Karoline ihre Krankheit tatsächlich akzeptiert, und erst so etwa das letzte Drittel könnte man „Leben mit der Diagnose“ betiteln.
Hmmmm. Und ich habe jetzt so ein kleines Problem mit Karoline. Das Ding ist nämlich, Parkinson ist nicht ihr einziges Problem. Karoline ist schwer depressiv. Schon immer. Und auch schon sehr lange medikamentös entsprechend eingestellt. Und das macht es ihr natürlich extrem schwer, überhaupt mit noch einem Schlag umzugehen. Und das macht es mir als Leserin auch sehr schwer, einiges nachzuvollziehen, von dem, was und wie sie ihre Geschichte erzählt. Es gibt ein paar Schwierigkeiten in ihrer Ursprungsfamilie (nun gut, wer hat die nicht), die für mich auch ein wenig sonderbar daherkommen, und ich hab mich einfach die ganze Zeit unglaublich schwer damit getan, Karoline für mich einzuordnen. Sie hat diesen unglaublichen Drang zur Verdrängung des Offensichtlichen. Die Hand-Hirn-Koordination stimmt nicht mehr? Nu ja, Physio wird’s richten. Da ist ein Arzt, der Parkinson vermutet? Ich doch nicht. Kann nicht sein. Machen wir mal hier einen Test, dort einen Test, und wenn da was widersprüchlich ist, such ich mir die Diagnose aus, die mir zusagt. Also, es dauert ewig und drei Tage, bis sie tatsächlich einen Hirnscan macht, der Gewissheit bringt, und selbst dann hat sie eigentlich nicht viel Interesse an einer Therapie. Irgendwann bringt es mal eine ihrer Freundinnen auf den Punkt: wenn die Depression nicht wäre, könnte man das Problem Parkinson mal gescheit angehen. Das fand Karoline irgendwie nur semi hilfreich…..
Ja, ich glaube, das ist tatsächlich das Ding. Eigentlich ist das nicht die Geschichte von einer Frau in ihren 50ern, die eine schlimme Krankheitsdiagnose bekommt, sondern dass ist die Geschichte von einer Frau, die sowieso schwere mental health Probleme zu bekämpfen hat und daher nicht weiß, wie sie zusätzlich damit klarkommen soll, dass nun auch ihr Körper peu a peu versagt. Nochmals, das Buch ist spannend geschrieben und ein minutiöser emotionaler Bericht, aber für mich vordergründig wirklich eine mental-health-Geschichte. Karoline beschäftigt sich nicht wirklich mit Parkinson, dass ist nur das schwarze Loch, das ihr droht. Wer wie ich erwartet hat, ein wenig mehr tatsächlich zur Krankheit und deren unterschiedlichen Ausprägungen und Entwicklungen zu erfahren, hat leider gelitten. Außer dass man viele viele Tabletten nehmen muss und irgendwann einen Hirn-Schrittmacher kriegt, war da nix.
Und diese unglaubliche Verdrängung. Noch 2 Jahre nach der Diagnose darf kaum jemand davon wissen, denn Karoline arbeitet ja noch als Zahnärztin, und wer würde zu einem Zahnarzt mit Parkinson gehen? (Anmerkung: new fear unlocked – ich hoffe, meine Zahnärztin ist gesund! Ich will auch nicht zu einem Zahnarzt, der den Bohrer nicht mehr festhalten kann und nur noch mit Pillen funktioniert). Aber nach einem Sturz wochenlang mit eingegipsten Handgelenk in der Praxis stehen, das ist ja gleich eine viel sozialverträglichere Sache….ooookayyyy…..
Man merkt, meine Rezension wird leicht emotional.
Es ist ein ehrlicher Bericht, es ist ein authentischer Bericht, dafür gehört viel Mut, dafür zolle ich der Autorin auch Hochachtung. Aber ich selber ticke halt komplett anders und habe daher oft beim Lesen nur den Kopf geschüttelt.
Daher lässt mich das Buch ein wenig ratlos zurück.
Ich wünsche der Autorin, dass sie ihren Weg findet – denn für mich sah das auf den letzten Seiten des Buches nicht nicht ganz danach aus. Ich wünsche ihr das Allerbeste.
Ich kann das Buch auch durchaus weiterempfehlen, aber man sollte sich bewusst sein, Achtung, das Hauptproblem ist – mMn – die Depression. Als Ratgeber in Punkto Leben mit Parkinson taugt das Buch leider nicht, aber das war auch nur meine persönliche Hoffnung, den Anspruch hatte die Autorin gar nicht. Ich hätte mir auf dem Klappentext aber einen Hinweis darauf erhofft, denn das gibt einen komplett anderen Blickwinkel auf die Dinge; auf das Annehmen der Krankheit, auf den Umgang damit.
Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar, es war auf jeden Fall sehr interessant!
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…..und nachdem ich meine Rezension jetzt auf den gängigen Portalen schon gepostet habe, hier auf meinem Blog noch mal ein paar Zusatzbemerkungen, die mir jetzt noch einfallen.
Was ich halt schad finde, da schreibt jetzt schon mal eine Ärztin, also „medizinisches Fachpersonal“ einen persönlichen Bericht, und dann kommt so so wenig medizinische Info zu dieser Krankheit herum. Nach allem, was ich so googele, gibt es so viele unterschiedliche Ausprägungen der Krankheit, und anscheinend kann man Parkinson zwar nicht heilen, aber mittlerweile durchaus stoppen, und man kann viel Einfluss über die Ernährung etc nehmen – für Karoline ist es aber immer nur „Herr P.“, und der bringt den Tod.