von Gerhard J. Rekel

erschienen Mai 2025 bei Kremayr & Scheriau

Link zum Buch

Ich muss gestehen, der Name Lina Morgenstern (1830 – 1909) kam mir irgendwie dunkel bekannt vor, aber ich hätte dazu nichts Konkretes sagen können. Als mir die Agentur Buchcontact diese Biographie vorstellte, dachte ich mir, die Wissenslücke muss ich dringend schließen. Also Buch geordert 🙂

Knapp 250 Seiten später bin ich schlauer, und muss sagen: wäre Lina ein Mann gewesen, wäre ihr Name in aller Munde, und man würde sie mit Gedenktagen feiern und in Ehre halten! Die Lady war ein Powerpaket, Gründungstalent, Unternehmerin mit Vorbildfunktion, und es ist eigentlich unfassbar, was sie alles auf die Beine gestellt hat und wie sie unser aller Alltag nachhaltig geprägt hat. Ich nenne jetzt einfach mal ein paar Stichworte zusätzlich zum Klappentext: Frau Morgenstern hat die Volks- und Suppenküchen in Preußen gegründet, die Armenspeisungen also – und die wurden in aller Welt vielfach kopiert, und ich gehe jetzt mal so weit zu sagen, das diese Küchen (abgesehen davon, dass sowas ja immer noch läuft ) auch ein Vorbild für die Tafeln waren; sie hat sich mit Erziehungswissenschaften befasst und war die Gründerin der Kindergärten, und so ganz nebenbei schrieb sie ein Buch nach dem anderen. Von Kochbüchern, Kinder- und Märchenbüchern bis zu feministischen Streitschriften war da alles dabei. Und 5 Kinder hat sie auch noch mit Theodor, der Liebe ihres Lebens bekommen. Ach ja, Theodor war übrigens Unternehmer, hatte u.a. zeitweise ein sehr großes Modehaus in Berlin, aber leider kein sonderlich glückliches kaufmännisches Händchen; das Ehepaar Morgenstern war diverse Male kurz vor der Pleite, und entweder Lina hat es wieder rausgerissen und einen Bestseller geschrieben – oder ja, man muss es sagen, Linas wohlhabender Papa hat dem insolventen Schwiegersohn auch schon mal aus der Patsche geholfen. Ungern, aber als das Modehaus vor dem Ruin stand, war das mal die Rettung. Womit wir natürlich auch gleich einen interessanten und mMn nicht unwichtigen Punkt in Linas Leben haben: einer wohlhabenden Familie entstammend, hat man durchaus eine andere Ausgangslage als wenn man in prekären Umständen aufwächst. Lina genoss sehr wohl eine gute Bildung, und hatte auch ein unternehmerisches, freidenkerisches Mindset – und ich behaupte mal, ein Mädel aus der Unterschicht hat genau dies eben nicht.

Eine bemerkenswerte Frau also. Sie hat Unglaubliches zustande gebracht in Zeiten, in denen Gleichberechtigung für die meisten Leute ein Fremdwort war, und was man auch nicht vergessen darf: Lina war Jüdin; und hatte sehr oft mit Antisemitismus zu kämpfen.

Und eine witzige (finde ich) Randnotiz: Bei all den Aktivitäten sah es im Hause Morgenstern wohl immer aus, als ob gerade ein Hurrikan durchgefegt hätte – der Autor zitiert hier Nachfahren, die sich wohl Jahrzehnte später immer noch lustig darüber machten, dass Hausarbeit für Lina nicht wirklich eine Priorität besaß :-). Und jetzt sag ich mal: das hat Lina im Gegensatz zu uns modernen Frauen richtig gemacht und erkannt – get your priorities straight. Entweder Unternehmen gründen und führen oder Staub wedeln zuhause. Beides gleichzeitig wird schwierig.

Ja, was soll ich sagen: ein super interessantes Leben. Und wie schade, dass so wenige heutzutage Lina Morgenstern kennen.

Und jetzt mal zur Aufmachung und Gestaltung des Buches: Das Buch ist optisch sehr ansprechend gemacht, mit sehr vielen Originalfotos, Zeichnung und Bildern und Zeitungsausschnitten. Das lockert den Text auf und ist super interessant. Der Autor hangelt sich in sehr vielen recht kurzen Kapiteln chronologisch in Linas Leben entlang, und greift immer wieder exkursmäßig auch einzelne Etappen heraus. Sehr gut gemacht; sehr gut zu lesen, flüssig geschrieben. Man hat hier weniger das Gefühl ein Sachbuch zu lesen, als vielmehr eine Art Memoir. Ich fand es auf jeden Fall eine sehr anregende und angenehme Lektüre. Am Ende gibt es zusammengefasst noch mal eine Zeittafel, und ein sehr ausführliches Quellenverzeichnis. Und ich muss gestehen, beim Durchsehen des Quellenverzeichnis sieht man durchaus, dass Lina eine historisch präsente Persönlichkeit war / ist – aber irgendwie trotz allem nicht wirklich im öffentlichen Bewusstsein präsent.

Ich würde mir wünschen, dass Lina Morgenstern mit dieser Biographie mehr Aufmerksamkeit bekommt, den diese hat sie mit Sicherheit verdient!

Ich bedanke mich beim Verlag und der Agentur für das Rezensionsexemplar!

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