von Anne Perry

erschienen 2022 bei Adrian Crime

Link zum Buch

Die historische Krimireihe um Inspector Thomas Pitt und seine Ehefrau Charlotte wird gerade beim Adrian Crime Verlag neu aufgelegt – ursprünglich 1979 erschienen, hat nun ein neuer Verlag übernommen und ich bin gespannt, wie viele der insgesamt über 30 Bücher dieser Serie neu herauskommen werden. Die Aufmachung ist auf jeden Fall netter, ansprechender und hochwertiger als die alten Originale, und ich vermute, die Übersetzung ist auch neu. Ich habe nämlich ein paar Rezis zu den „alten“ Büchern gelesen, und da haben sich so einige Rezensenten über die schlechte und holprige deutsche Übersetzung geärgert. Das ist hier definitiv nicht der Fall, ich habe hier sprachlich nichts zu beanstanden gefunden, die „neuen“ Bücher lesen sich sehr gut weg!

„Callander Square“ ist nun der 2. Teil der Reihe der Krimis im viktorianischem London. Thomas und Charlotte sind mittlerweile glücklich verheiratet und erwarten ihr erstes Kind. Im Londoner Callander Square, eine der gehobeneren Adressen der besseren, alteingesessenen Gesellschaft, werden 2 Babyleichen gefunden, und Thomas muss ermitteln. Waren es Totgeburten? Hat ein verzweifeltes Dienstmädchen unerwünschte Kinder begraben? Wer ist der Vater? Es gibt keine Indizien, und die Polizei muss durch hartnäckige Gespräche in den Häusern am Square versuchen, die Wahrheit herauszufinden….eine Wahrheit, die viele gar nicht zu interessieren scheint, denn was sind schon 2 Babyleichen höchstwahrscheinlich fragwürdiger Herkunft? Doch dann wird eine Frauenleiche gefunden, und ein weiterer Mord passiert in unmittelbarere Nachbarschaft – und irgendwie scheint alles mit den toten Kindern zusammen zu hängen….. Und wo Thomas als Polizist nicht weiterkommt, da ermitteln Charlotte und ihre Schwester Emily weiter: Emily hat als frischgebackene Lady Ashcroft Zutritt zu Kreisen, die der Polizei eher verschlossen bleiben, und Charlotte geht „undercover“ in den Callander Square, um dort als Schreibkraft ihre eigenen Ermittlungen durchzuführen….

Der Krimi besticht wieder durch die Atmosphäre und das authentische viktorianische London. Die Polizeiarbeit ist hier zum grössten Teil auf Pitts Interviews mit den Bewohnern und der Dienerschaft der Anwohner am Callander Square begrenzt, das heisst, es geht eher gemächlich zu. Wir haben viele Gespräche, und sehr viele Einblicke in die damalige Gesellschaftsstruktur. Das fand ich richtig interessant, aber wir haben hier keine rasanten Actionszenen; es gibt hier wirklich sehr viel Routine-Polizeibefragungen. Peu a peu decken Thomas, Charlotte und Emily die wahren Beziehungen und Skandale auf, die das Leben der Oberschicht am Square ausmachen, und nichts ist so, wie es erscheint…..!

Der Krimi ist ein wenig ruhiger aufgebaut als der erste Band, die Autorin nimmt sich hier Zeit, die vielen Protagonisten und ihre Beziehungsgeflechte untereinander detailliert darzustellen. Ich würde das Buch daher eher als historischen Roman denn als Krimi einsortieren – klar, wir haben ein paar Tote, aber insgesamt war es für mich eine interessante Gesellschafts- und Sozialstudie. Eine echt gute Geschichtsstunde in Romanform. Und natürlich wachsen mir die Protagonisten langsam echt ans Herz; ich bin ein Fan von Emily, der neuen Lady Ashcroft, die für mich die treibende Kraft hinter ihrer Schwester Charlotte ist: Emily ist neugierig und will wissen, was da am Square passiert ist, und ohne sie wäre Charlotte nie auf die Idee gekommen, hier auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Und zusammen finde ich die beiden ziemlich cool 😊.

Also, mein Fazit: ich war erneut gefesselt, fand den Fall jetzt aber nicht ganz so spektakulär. Wer hier rasante Action erwartet, wird zwangsweise enttäuscht – wer aber abtauchen möchte in die letzten Tage des Empires, wer sich für das viktorianische Zeitalter interessiert, der ist hier genau richtig. Interessante, skurrile, authentische Protagonisten erzählen ihre Geschichte. Mir hat es sehr gut gefallen!

Am Ende gibt es – wie auch schon im ersten Teil der Neuauflage – ein mehrseitiges Nachwort vom Literaturwissenschaftler Volker Neuhaus, das ich sehr lesenswert finde, und in dem das Buch im historischen Kontext noch mal kurz besprochen wird. Also bitte: das Buch bis zum Schluss lesen 😊!

Herzlichen Dank an den Verlag und an Buch Contact für das Rezensionsexemplar!

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