von Katja Oskamp

erschienen bei Hanser Berlin 2019

Link zum Buch

Wenn die lieben Mitmenschen wissen, dass man gerne liest, kriegt man öfters mal nette Empfehlungen von Büchern, die man selbst wahrscheinlich nie gekauft hätte. Das hier ist so ein Fall: Ich hab von diesem Buch schon mal gehört, fand es aber wenig faszinierend, aber nachdem eine meiner Yoginis total begeistert war von diesen Fusspflegerinberichten, habe ich es mir kurzerhand bei ihr ausgeliehen, und ja – hat sich gelohnt 😊. Hat mir richtig gut gefallen, dieses kleine Büchlein.

Hierum geht’s: Die Autorin ist Mitte 40, der Erfolg als Autorin hat gerade kreative Pause, sprich, ihr aktuelles Manuskript wird abgelehnt, und sowieso lässt die Midlifecrisis grüssen. Für Katja Oskamp Zeit, was ganz anderes zu machen, und als sie das Angebot einer Kosmetikerin bekommt, in ihrem Studio als Fusspflegerin einzusteigen, macht sie Nagel mit Köpfen. Der nächste Lehrgang Fusspflege wird gebucht, das Arbeitsmaterial gekauft, und los geht’s. Frau Oskamp geht ran an die Kunden, und zwar in einem Studio in Berlin Mahrzahn. Bei Marzahn denkt jeder an Plattenbau, Sozialismus und DDR Charme, doch da hat sich in den letzten Jahrzehnten schon einiges getan. Der Bezirk hat Farbe bekommen und ist, wie sagt man so schön, aufgewertet worden, aber trotz allem überwiegt hier der Arbeiteranteil an der Bevölkerung. Und hieraus generiert sich auch die Kundschaft, deren Füsse die Autorin von nun an pflegt. Und von dieser Kundschaft soll das Büchlein handeln. Die grosse Rahmenhandlung ist natürlich das neue Berufsleben, aber die eigentlichen Hauptdarsteller sind die Kunden. Bei der Fusspflege ist es wie beim Friseur: es wird geplaudert, und so kann die Autorin uns hier die Lebensgeschichten ihrer Stammkunden vorstellen, und das tut sie sehr charmant. Die Geschichten, die sie hört und uns weitergibt, sind voller Menschlichkeit, Witz und vor allem: immer mit viel Respekt erzählt. Na klar erfahren wir auch viel von den Füssen, hahaha, und die sind am Anfang nicht immer schön, im wahrsten Sinne des Wortes, aber auch das ist interessant 😉.

Die Kunden im Studio sind „echte Menschen“, mit echten Schicksalen, so wie sie es überall hier im Lande gibt; und doch ist jeder ein Unikat. Liebenswerte und nicht ganz so liebenswerte Unikate: Der alte ehemalige SED Funktionär, der die Fusspflegerin nach dem Abholzen seiner Nägel regelmässig  fragt, ob sie nicht noch Kapazität für Sexualkontakte hat. Die 1945 als Kind aus Ostpreussen geflüchtete Krankenschwester, die ihr Leben lang hart gearbeitet hat und den Feminismus schon gelebt hat, als es das Wort noch gar nicht gab. Die niedliche alte Dame, die ihre Dackeldame über alles liebt…..und und und. Wir bekommen hier einen Querschnitt der Mahrzahner Bevölkerung präsentiert, und irgendwie ist das Ganze eine Liebeserklärung an den Stadtteil.

Richtig nett erzählt, mit viel Humor. Liest sich gut weg. Das ist kein Roman, sondern irgendwas zwischen Memoir, Erzählungen, Kurzgeschichten. Amazon ordnet das Büchlein ein unter „Gesellschaftsromane“ (jo, kommt hin) und „Trauer“ – nö, finde ich nicht, Ich empfand die Lektüre als positiv. Das Leben ist nicht immer nur Ponyhof und „Chaka Yes we can“ , sondern auch mal nicht so nett. Und alt werden ist eh nix für Weicheier, aber deshalb finde ich den Begriff Trauer trotzdem nicht passend. Ich nehme aus dem Buch mit, dass das Leben immer Optionen bietet und das ist, was wir draus machen.

Ich musste die Autorin nach dem Lesen googeln, mich hat es interessiert, ob das wirklich aus ihrem Leben, aus ihrem Nähkästchen geplaudert war, und bin auf ein sehr interessantes Interview vom Deutschlandfunk mit ihr gestossen. Und ja, das Buch ist autobiographisch gefärbt, und auch wenn die Personen, die Kunden natürlich nicht mit Klarnamen genannt werden und die Lebensgeschichten verfremdet wurden: genaus so isses! Das ist das wahre Leben.

Mich hat das Buch berührt, mich lässt es gut gelaunt zurück. Grosse Leseempfehlung!45

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