von Susanne Abel

erschienen bei dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; 13. Edition (16. Februar 2023)

Link zum Buch

Dieses Buch hat mittlerweile einige Preise gewonnen und Furore gemacht, und ist mir schon mehrfach wärmstens empfohlen worden. Da ich aber gerne Hypes vermeide, und ehrlich gesagt auf „Rassismus-Betroffenheits-Romane“ keine große Lust hatte, habe ich diesen Roman nicht wirklich auf meine Leseliste gesetzt. Ja, und nun ist dieses Buch die Monatslektüre in meinem Buchklub, also musste ich nun doch heran….und hey, es war brillant! Wer hätte das gedacht. Zurecht gehyped, zurecht gelobt.

Den Inhalt gibt der Klappentext schon recht gut her. Ich schreib hier auch noch mal was zum Inhalt, und Achtung, ich werde spoilern, also wer das Buch noch nicht kennt, sollte besser nicht weiterlesen 🙂 !

Der gefeierte Starmoderator und TV Anchorman Tom Monderath wird unsanft aus seinem stressigen Jetset-Leben geworfen, als seine Mutter Greta anfängt, dement zu werden. Die 84jährige wohlhabende Dame verirrt sich des öfteren, gerne auch mal nachts auf der Autobahn – nicht zu Fuß, sondern stilgerecht mit Luxuswagen hinterm Steuer am anderen Ende der Republik…..und will natürlich nicht wahrhaben, dass gerade eine Krankheit von ihr Besitz ergreift. Tom muss sich kümmern, ob er will oder nicht….und anfangs will er eher nicht.

Der Roman ist von Anfang an auf 2 Zeitebenen gehalten; einmal im hier und heute, wenn wir Greta und Tom begleiten, und einmal in Gretas Vergangenheit, und die startet noch vor dem 2. Weltkrieg. Wir lernen Greta und ihre Familie 1939 kennen, in Ostpreußen, und arbeiten uns hier so langsam durch das damalige aufkommende NS-Deutschland. Gretas Familie ist teils recht stramm auf Spur, denn die Indoktrination vor allem in den Schulen war schon sehr heftig, und Greta und ihre ältere Schwester Fine sind begeisterte Jungmädels; wobei der Opa (es leben mehrere Generationen unter einem Dach) kriegsversehrt aus dem 1. Weltkrieg zurück kam, und ihm ist jede Kriegsfreude für immer komplett vergangen. Man ist im Hause Schönaich durchaus geteilter Ansicht zum politischen Geschehen….

Ja, und so arbeiten wir uns als Leser voran: voran durch Gretas fortschreitende Demenz, und voran durch das Leben im „damals“, was relativ schnell durch Flucht aus dem brennenden Ostpreußen mit all den Terror und Schrecken, den diese Flucht so mit sich brachte….

Irgendwann findet Tom in den Unterlagen seiner Mutter alte Briefe und ein Bild eines schwarzen kleinen Mädchens, und fragt sich, wer dies sein könnte. Er recherchiert, und findet heraus, das es sich um seine ihm bisher unbekannte Halbschwester handelt, und es wird ihm klar, wie wenig er doch über das Leben seiner Mutter weiß. Was ist damals passiert? Wo ist diese Schwester?

Im historischen Erzählstrang bekommen wir die Antworten, denn in den Nachkriegsjahren, im von den Amerikanern besetzten Heidelberg, verliebt sich Greta in einen schwarzen GI, und entgegen aller Vernunft soll dies für beide die ganz große Liebe sein. Allein: es soll nicht sein. Es sind die Zeiten, in denen in den USA noch strikte Rassentrennung herrscht, und in denen auch in Deutschland ganz ähnliche Ressentiments herrschen. Und ein braunes uneheliches Mischlingsbaby zwischen einer deutschen Frau und einem Amerikaner? Geht schon mal gar nicht. Gretas Familie unterstützt sie genau so lange, bis der Vater aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause kommt und ob der dunkelhäutigen Enkeltochter völlig ausrastet. Und hiermit beginnt ein Leidensweg für Greta, denn sie muss das Kind – Marie – in staatliche Obhut geben, was ihr für immer das Herz brechen soll.

Ja, und von alldem ahnte Tom nie etwas. Er ist der Sohn, der 20 Jahre später auf die Welt kam; in einer neuen Beziehung, respektive Ehe seiner Mama, und über Marie wurde offiziell nie mehr ein Wort verloren. So wie auch generell über die Kriegszeiten und Nachkriegszeiten in der durchschnittlichen deutschen Familie kaum geredet wurde (was ich bestätigen kann). Wie geht man – Tom – jetzt damit um? Das ist spannend, und auch die Recherche, die Tom betreibt, ist spannend.

So, mal weg vom Inhalt hin zu meinem Leseeindruck.

Das Buch ist super mitreißend geschrieben, ich war von der ersten Seite an drin. Anfangs hatte das auch – fand ich zumindest – ein paar witzige Momente. Als Außenstehender ist es durchaus ein wenig erheiternd, Gretas automobile Aussetzer zu verfolgen (andererseits ist auch Tom zu verstehen, der da wenig Witz drin sah!). Die Charaktere sind so echt, so bildhaft beschrieben, die Dialoge so authentisch – super. Für einen Debütroman klasse.

Und dann hat der Roman Sogwirkung entwickelt. Gretas Leben im Damals war einfach ein Page-turner. Und ich konnte mich echt in so vielem wiederfinden. Meine Tante kam auch aus Ostpreußen geflüchtet, und vieles, was sie im Alter plötzlich erzählt hat, hat mich an Greta erinnert – oder vielmehr andersherum, Gretas Geschichte hat mich an die Geschichte meiner Tante erinnert.

Und dann das Nachkriegsdeutschland und die herzzerreißenden Geschichten der Mischlingskinder, die es zuhauf gab und die keiner haben wollte. Verstoßene aus der Gesellschaft. Was da alles vorging hier in diesem Lande, was das Jugendamt alles machen konnte – die unehelichen Mütter hatten keinerlei Mitspracherecht, was mit ihren Kindern passiert. Hab ich durchaus alles so schon mal irgendwann gelesen, aber jetzt in diesem Roman wurde es mir so eindrücklich vorgelegt, das fand ich echt krass, hat mich berührt, hat mich mitgenommen.

Wir sind hier noch lange nicht mit der Aufarbeitung unserer Geschichte fertig, und dieser Roman hat mir sehr viel zum Denken gegeben.

Allein das Stichwort „trangenerationales Trauma“: das bringt eine Kollegin Toms an, denn die aktuelle Kriegsenkel-Generation hat damit zu kämpfen, und dieses Thema allein ist faszinierend.

Also abschließen, um nicht zu ausufernd zu werden: ein tolles Buch mit gleich mehreren Themen, die berühren. Und immer wieder die Liebe – denn die erhellt das Leben 🙂

Absolute Leseempfehlung!

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