von Michael Finkel

Erschienen 2017 im Goldmannverlag

Untertitel: Die Geschichte eines Mannes, der 27 Jahre in den Wäldern verschwand

Nachdem ich den Untertitel gelesen habe, musste ich das Buch in die Hand nehmen und kaufen. Es ist die wahre Geschichte von Christopher Knight, der fast 3 Jahrzehnte in den Wäldern von Maine gelebt hat, ohne eine Menschenseele zu treffen (wenn man mal von 2 Zufallsbegegnungen mit Wanderern absieht…aber 2 Begegnungen in 27 Jahren, na, das zählt nicht wirklich, denke ich), und der Klappentext verrät weiter, diese wahre Geschichte geht „über ein Leben in der Natur, in absoluter Einsamkeit und Stille“. Okay, damit hatten sie mich 😉, solche Geschichten versprechen super spannend zu sein. Der Autor Michael Finkel ist Journalist und Drehbuchautor, und war ebenfalls von Christopher Knight und dessen Geschichte so fasziniert, dass er ein Buch über ihn schreiben musste.

Dieses Buch nun ist kein Roman, sondern eher eine Doku in Buchformat. Knights Leben wird beleuchtet, seine Geschichte erzählt, ein fesselndes Portrait von ihm entworfen; und Finkel beschäftigt sich auf grossen Strecken des Buches auch mit Eremiten generell. Knight ist definitv ein Eremit, und Finkel geht der Frage nach, was einen Eremiten überhaupt ausmacht, und wie die Gesellschaft im Laufe der Geschichte mit ihren Einsiedlern so umgegangen ist. Also noch mal ein recht interessanter Nebenaspekt in diesem Buch.

So, aber nun zurück zu Christopher Knight: Im Sommer 1986 entscheidet der damals 20jährige mehr oder weniger spontan, auf einem Roadtrip durch Maine in den Wäldern zu bleiben. Geplant war das nicht, aber einmal unterwegs, gibt es auch kein zurück mehr. Er sucht sich ein abgeschiedenes Plätzchen, umrundet von Findlingen, von aussen nicht einsichtbar, und richtet sich dort häuslich ein. Weit weg von der Zivilisation ist er aber nicht: er ist nah an zwei Seen, und da gibt’s einige Blockhütten, die teils nur von Sommergästen, teils aber auch ganzjährig bewohnt sind. Es zu schaffen, dort allen Menschen aus dem Weg zu gehen, ist schon eine Leistung. Aber Knight, der die Stille über alles liebt, ist dort glücklich.

Jetzt könnte man sagen, das ist ja super, ein glückliches Leben in den Wäldern von Maine in der Stille mit sich selbst. Jetzt kommt aber der Haken: von irgendwas muss der Mensch ja leben, und Maines Wälder geben nicht wirklich viel her. Also verlegt sich Knight aufs „organisieren“. Sprich, er klaut die Hütten aus. Er nimmt immer nur das, was er zum Leben braucht, aber er stielt. Wenn auch mit schlechtem Gewissen. Im Laufe der 27 Jahre kommen da über 1000 Diebstahlsdelikte zusammen, und ein Einbruch wird ihm dann auch zum Verhängnis, und man schnappt ihn. Und nein, das ist jetzt kein spoilern, das ist die Ausgangslage der Doku, denn Finkel trifft Knight im Gefängnis, und die Gespräche der beiden bilden die Grundlage dieses Buches.

Und jetzt fange ich persönlich an zu bewerten und den Herrn Knight abzuwerten. Schön und gut, die böse und laute Gesellschaft zu verlassen, das steht jedem frei, aber dann die Gesellschaft zu bestehlen, um das eigene Überleben zu sichern, da hört dann mein Verständnis auf. Und damit stehe ich nicht allein, denn die Besitzer der Blockhütten rund um den North Pond und den Little North Pond sehen und sahen das ähnlich. Einige Hüttenbesitzer waren eher entspannt, irgendwann gewöhnt man sich wohl dran, dass jeden Frühling die Vorräte in den Hütten geplündert sind, aber andere sind nach dem 2 oder 3 Einbruch eher unentspannt und verängstigt – und ich persönlich bin da voll bei ihnen.

Also, wie immer man das sieht, kalt lässt einen die Geschichte nicht. Der Autor gibt unumwunden seine Faszination zu, aber schreibt erstaunlich wertfrei und ist nur der Berichterstatter.

Mich hat die Geschichte teils wütend gemacht, teils bass erstaunt. Die Überlebenskünste von Knight sind schon beachtlich, keine Frage. Aber irgendwelche grossen philosophischen oder gar spirituellen Erkenntnisse darf man von ihm nicht erwarten. Knight will einfach nur seine Ruhe. Über sein wahres Selbst erfahren wir hier nur wenig. Schade.

Ja, gut geschrieben, super recherchiert. Ein Bericht, der zum Nachdenken anregt und polarisiert. Ein Bericht über Outdoor-Survival ist es nicht wirklich.  Ein sympathischer Held ist Knight auch nicht unbedingt. Trotzdem hat mich das Buch gepackt, von daher: ich empfehle es gerne weiter!

Vielleicht gefällt dir auch das: