von Malve von Hassell

erschienen 2021 bei Odyssey Books, AU

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Pommern, 1644, im Dreissigjährigem Krieg: der 15jährige Peter macht eine Lehre als Bernsteindrechsler. Die Gegend seiner Heimat an der Ostsee ist berühmt für die Bernsteine, die das Meer hergibt, und das Handwerk rund um den Bernstein erlebt eine Blütezeit. Aber die Zünfte haben ein striktes Reglement; niemand darf ohne Erlaubnis am Strand auch nur spazieren gehen, geschweige denn, Bernstein sammeln und verarbeiten. Eines Abends findet Peter allen Verboten zum trotz zwei wunderschöne Bernsteinrohlinge. Er kann nicht anders, er nimmt sie mit, und aus den grösseren der Steine arbeitet er einen Kranich heraus.

Pommern, Winter 1944: die 17jährige Lioba ist, wie so viele andere Menschen aus Ostpreussen und Pommern auf der Flucht vor den Russen gen Westen. Es sind die letzten Tage des zweiten Weltkrieges, jeder, der sehen kann, weiss, der Krieg ist für Deutschland verloren, und die Flüchtlingstrecks setzen sich in Bewegung. Auch Lioba gehört zu denen, die ihre Familie und ihre Heimat verloren haben, und alles, was sie noch besitzt, trägt sie am Leib – so auch einen Talisman, einen Anhänger mit einem Bernsteinkranich, den ihre Urgrossmutter einst am Ostseestrand fand…..

Zurück 1644: Seit Peter heimlich an seinem Bernstein arbeitet, fällt er immer wieder in merkwürdige Träume. Die Gegend, in der er landet, kommt ihm bekannt vor, aber irgendwie ist alles anders….und wer ist dieses Mädchen, das alleine unterwegs im bitterkalten Winter ist? Bald schon zeigt sich: das sind keine erschreckend realen Träume, das sind Zeitsprünge.  Peter landet immer wieder bei Lioba, und die beiden freunden sich an. Und Lioba ist froh, dass Peter ihr auf der Flucht aus so manch brenzliger Situation zur Seite steht…..

Ja, das war jetzt mal ein Zeitreiseroman der anderen Art, und es war toll. Ich finde das Thema Zeitreise immer spannend, das gibt immer Stoff für coole Stories, und hier war es mal so, dass aus der Sicht von Peter aus der Vergangenheit erzählt wurde. Eigentlich ist es ja sonst immer umgekehrt, irgendjemand reist in die Vergangenheit und weiss sofort Bescheid, was gerade los ist, aber hier hatten wir jemand aus dem 17. Jahrhundert, der völlig fasziniert von fliessendem Wasser ist, und der Streichhölzer für extremst genial hält. Diese Konstellation sorgt für interessante Unterhaltungen 😉. Aber bei aller Unterschiedlichkeit: Peter und Lioba verbindet die Heimat, auch wenn sich diese in 300 Jahren gewandelt hat; und sie verbindet die Erfahrung des Krieges. Der 30jährige Krieg hat bereits weit vor Peters Geburt angefangen, er kennt es gar nicht anders, als dass marodierende Soldaten durch die Gegend ziehen und Flüchtlinge sein Dorf bevölkern, und Lioba hat 1944 auch schon einige Kriegsjahre hinter sich gebracht. Die Autorin versteht es, die bedrückende Lebenswirklichkeit der beiden darzustellen, und trotzdem immer wieder auch die positiven Dinge des Lebens zu betonen: Freundschaft, Familie, Anstand, Hilfsbereitschaft. 2 fürchterliche Kriege, doch die Menschlichkeit überlebt.

Zurück noch mal kurz zur Handlung, natürlich ist der Kranich aus Bernstein das magische Element, das die beiden verbindet, und weswegen Peter überhaupt durch die Zeit reist. Und am Ende lernen sowohl Lioba als auch Peter, loszulassen….

Der Roman war vom Plot her superspannend und faszinierend, und man merkt hier jeder Seite an, dass die Autorin die Historie kennt. Wir erfahren hier sehr viel zum Alltagsleben, zur Lebenswirklichkeit der Menschen sowohl zu Zeiten des 30jährigen Krieges als auch zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs. Sehr gut recherchiert, und auch sehr gut geschrieben. Sehr flüssig, sehr spannend geschrieben.

Von diesem Roman gibt es nur eine englische Ausgabe; das fand ich als deutsche Leserin teils ganz witzig; die meisten Ortsnamen und einige Ausdrücke („Bönhase“ zum Beispiel) werden im deutschen verwendet, aber dann gab es auch ein paar ver-englischte Begriffe und Namen (plötzlich ist da vom Frederick William die Rede; das fiel mir halt auf, weil ansonsten fast alle Namen in ihrer deutschen Fassung verwendet wurden. Da hätte ich jetzt auch einen Friedrich Wilhelm erwartet. Und Königsberg in East-Prussia, da musste ich auch grinsen, da hätte ich jetzt Königsberg aus Ostpreussen genommen), aber das nur am Rande.

Mich hat das Buch echt gefesselt. Ich fand es atmosphärisch sehr dicht und mitreissend. Ich fand vor allem Liobas Flucht spannend. Meine Tante ist damals zur selben als Kind ebenfalls aus Königstein vor den Russen geflüchtet, und genau so diese Stimmung habe ich mir aus Erzählungen immer vorgestellt.

Das Buch ist leider relativ kurz, es hat nur 266 Seiten, aber die waren durchgehend klasse!

Im Anhang gibt es noch ein Glossar und einen Anhang zur Historie, sowas gefällt mir ja immer gut, und dann tut es mir immer leid, wenn ich nur die ebook-Variante lese, denn dann sehe ich das natürlich immer erst ganz zum Schluss. Wer die Geschichte um Lioba und Peter lesen möchte, dem empfehle ich das Print; da kann man dann immer mal kurz was bei Bedarf nachschlagen.

Fazit: grosse Leseempfehlung!

Danke herzlichst an Netgalley für das Rezensionsexemplar!

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Infos zur Autorin:

Malve von Hassell is a freelance writer, researcher, and translator. She holds a Ph. D. in anthropology from the New School for Social Research. Working as an independent scholar, she published several books and journal articles

Webseite: KLICK

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