von Deborah Feldmann

erschienen 2017 im btb Verlag

Deborah Feldmann beschreibt in diesem Memoir ihre wahre Lebensgeschichte: aufgewachsen in der Gemeinde der Satmarer in Williamsburg, New York gelingt es ihr mit Mitte 20, die Gemeinschaft der chassidischen Juden zu verlassen und ein eigenbestimmtes Leben als moderne junge Frau in Berlin zu beginnen. Dieses Buch ist dabei Teil ihres Befreiungsschlages, denn sie geht ganz bewusst mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit, um hier auch ein gewisses Level an Sicherheit zu gewährleisten.

Dieser Roman ist das aktuelle Leseereignis von den @maedelsdielesen , meinem Instagram-online-Buchclub. Auch wenn dieses Buch gerade in aller Munde ist, wäre es ohne den Club wohl an mir vorbei gegangen, denn sowohl das Cover als auch der Titel haben für mich nicht erahnen lassen, dass sich hier eine super spannende Autobiographie hinter verbirgt. Aber so habe ich mich drauf eingelassen und das Buch innnerhalb einer Woche gelesen.

Deborah Feldmann wurde 1986 geboren, in die Satmar-Gemeinde in Williamsburg hinein. Die Satmarer sind eine der striktesten jüdischen Gesellschaften überhaupt, und die Autorin lässt uns hautnah am Leben teilhaben. Und strikt heisst strikt: Frauen haben nicht viel zu melden, sie haben sich an strenge, sehr konservative Kleiderordnungen zu halten, sie dürfen ab einem gewissen Alter in der Öffentlichkeit (sprich, in der Anwesenheit von Männern) nicht mehr singen oder musizieren, sie erhalten keine Ausbildung, sie heiraten mit 17, sie haben eigentlich nur Kinder zu bekommen. Und das bitte nicht zu knapp, denn die 6 Millionen Juden, die im Holocaust umkamen, müssen wieder ersetzt werden….und das ist jetzt nicht meine eigene saloppe Auslegung des Romans, sondern genau so bekommt die Autorin es immer wieder gesagt. Aber auch die Männer sind nicht wirklich zu beneiden und frei in ihrer Lebenswahl, ab 3 Jahren gehen chassidische Jungs zur religiösen Schulung, und auch ihr Leben wird bestimmt von göttlichen Regeln, die der jeweilige Rebbe gerne neu aufsetzt und interpretiert.

Ich habe mich bei der Lektüre ständig daran erinnern müssen, dass wir im zeitgenössischem New York sind, und nicht irgendwo im Mittelalter feststecken. Deborah ist ein wissbegieriges Mädchen, sie ist anders, sie will mehr vom Leben, und ich fand es teilweise schmerzhaft, zu lesen, wie sie gegen die Restriktionen ankämpft.

Von einigen jüdischen Verhaltensregeln habe ich natürlich schon gehört: die Mikwe, das traditionelle monatliche Bad für die Frauen, das Trennen des Essens in koschere Lebensmittel, der Usus, dass verheiratete Frauen ihre Haar rasieren, um Perücken zu tragen……etc….aber dass die ultra-orthodoxen Juden in Williamsburg diese Regeln tatsächlich immer noch auf den Punkt befolgen, das fand ich super krass. Das hat mich eigentlich total geschockt. 3 Häuserblöcke weiter tobt das normale Leben und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist  – zumindest gesetzlich – verankert, und die Autorin sitzt im Hause ihrer Grossmutter und wird mit 17 verheiratet an einen Mann, den sie zwei mal vorher im Leben gesehen hat. Und spricht noch nichtmals englisch, denn das ist die Sprache des Teufels, die Satmarer reden ausschliesslich jiddisch.

Wie auch immer, die Autorin hat es geschafft, einen Schlussstrich zu ziehen und mit ihrem kleinen Sohn die Gemeinschaft zu verlassen, und sie ist darüber hinaus auch noch eine literarische Entdeckung. Sie kann nämlich schreiben. Hier gab es keinen Ghostwriter, hier ist alles echt, und Ms Feldmann ist eloquent, analytisch scharf, und angenehm flüssig zu lesen. Also tatsächlich ein tolles  literarisches anspruchsvolles Debut von ihr.

Angelehnt an dieses Buch ist auch eine 4-teilige Mini-Netflix-Serie entstanden, die von der Autorin autorisiert und begleitet wurde. Ich habe die Serie natürlich auch gesehen, sie ist mittlerweile auch schon preisgekrönt (Emmy 2020 für die beste Regie, Deutscher Fernsehpreis für Ausstattung und Bühnenbild), und auch wenn die Handlung teilweise grob vom Buch abweicht, kann ich doch beides unbedingt weiter empfehlen. Man erhält definitiv tiefe Einblicke ins Chassidentum, und fühlt den Freiheitskampf der Protagonistin und ihre innere Zerrissenheit.

Dieses Buch ist also „food for thought“, und ich freue mich, es gelesen zu haben! Für mehr Information empfiehlt sich auch die Webseite der Autorin

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